12.08.19



Überlegungen zum nichtenglischen Sprachstudium in Europa

Die folgenden Gesichtspunkte sollen das Thema im Kreise einiger unserer nächsten europäischen Nachbarn beleuchten, die selbstverständlich ihre eigene Muttersprache im Zentrum der entsprechenden Fragestellung sehen; so kann uns dann – unter anderem! – ein politisch und historisch begründeter Unterschied zu unseren Nachbarn bewusst werden.

I     in DÄNEMARK:

In einem Artikel der dänischen Wochenzeitung Weekendavisen vom 10.12.2010, „Die übersehenen Folgen" (im dänischen Originaltitel Den oversete konsekvens), verdeutlicht Peter Pagh, Professor für Umweltrecht an der Universität Kopenhagen, die Verpflichtung des dänischen Parlaments, als Vertreter eines EU-Mitgliedsstaates die EU-Abkommen als solche zu akzeptieren und auf nationaler Ebene umzusetzen. Hinter der von ihm sehr sachlich dargelegten Problematik und Rechtslage lässt sich ein deutlich spürbares Tauziehen erkennen: zwischen nationalen Interessen auf der einen Seite – und dazu gehört für die Dänen natürlich auch die Anerkennung ihrer eigenen Landessprache innerhalb ihrer eigenen Grenzen – und – auf der anderen – den Ansprüchen der EU-Kommission im Sinne einer gefährlichen Vereinheitlichung und "Integration"spolitik, die nationale Werte vollständig missachtet und unter dem Deckmantel falscher Humanität in Wirklichkeit auf schleichende, deshalb aber nicht weniger brutale Weise zerstört;
denn Einwanderer türkischer Herkunft brauchen laut EU-Gesetz keinen Einbürgerungstest zu bestehen, um in ihrem jeweiligen Gastgeberland die Staatsbürgerschaft zu erlangen, trotz Einwänden von Organisationen, die hierin eine Diskriminierung von Einwanderern anderer Herkunftsländer sehen, und obwohl sich eine ernstgemeinte Integration leichter mit einer entsprechenden Pflicht, vor allem im Hinblick auf das Erlernen der jeweiligen Sprache, verwirklichen ließe.

II     in den NIEDERLANDEn und ÖSTERREICH:

       in dem Online-Artikel „SOS ÖSTERREICH, Zum Schutz unserer Heimat, Kultur und Traditionen! – Aber nicht immer politisch korrekt!", auf der Netzseite: http://sosheimat.wordpress.com/2010/08/17 findet oder fand man alarmierte Äußerungen zu derselben Aufhebung der Verpflichtung zu Einbürgerungstests für türkische Einwanderer. Auch hier findet man ein ähnliches Tauziehen wie in Dänemark und vor allem eine begründete Sorge im Volk.

III     in DEUTSCHLAND:

Auf den Webseiten eines Juristen in Deutschland hingegen, s. www.rechtsanwalt-familienzusammenfuehrung.de, standen (zumindest im Oktober 2011, als ich sie das letzte Mal besucht habe) ausführliche, sachdienliche Hinweise, wie man deutscher Staatsbürger werden kann: An sich sind (wie man doch vermuten sollte) ausreichende Deutschkenntnisse und ein bestandener Einbürgerungstest als „wesentliche Voraussetzungen" genannt. Der juristische Fachmann fügt jedoch hinzu: „Bitte beachten Sie, dass diese Voraussetzungen nicht immer eingehalten werden müssen. Es gibt zahlreiche Ausnahmen. Häufig "vergessen" die Behörden auf die Ausnahmen hinzuweisen. Häufig zeigt sich, dass eine Ablehnung der Einbürgerungsbehörde nicht gerechtfertigt war, weil aufgrund der Rechtsprechung oder versteckter Ausnahmeregelungen eine Einbürgerung doch möglich ist." Auf der folgenden Seite wird die Kanzlei noch deutlicher, damit es auch ja jeder versteht: „Häufig werden Anforderungen gestellt, die Sie nicht erfüllen müssen, wie das Bestehen des Einbürgerungstests oder des Nachweises ausreichender Sprachkenntnisse." [verzeihen Sie den Deutschfehler, liebe(r) Leser(in), es ist ja ein Zitat.]

In Nordrhein-Westfalen zumindest lässt sich demnach eine sehr große Bereitschaft zur Annahme der EU-„Integration”srichtlinie feststellen. Die einzige Sorge scheint vielmehr, dass die großzügige Sonderregelung für Einwanderer türkischer Herkunft eine Diskriminierung bestimmter Zuwanderer-Gruppen darstellen könnte. So steht z.B. in der Süddeutschen Zeitung vom 2.April 2012 unter dem Titel Goethe und die Liebe    Die vielgeschmähten Sprachtests für heiratswillige Zuwanderer sind besser als ihr Ruf – und sollten erhalten bleiben. von Matthias Makowski:

„Kaum eine Regelung der deutschen Integrationspolitik ist bis heute so umstritten wie jenes Überleitungsgesetz aus dem Jahr 2007, das von Frauen (und auch Männern) Deutschkenntnisse verlangt, die aus dem Ausland zu ihrem Ehepartner nach Deutschland ziehen wollen – und zwar schon wenn sie einen Visumsantrag stellen. ‚Keine Liebe ohne Deutsch!’ So bringen es viele Zuwanderer auf den Punkt. Sie kritisieren die Regelung als Diskriminierung von bestimmten Zuwanderer-Gruppen – das Ziel, Zwangsheiraten zu erschweren, verfehle sie. Die SPD hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Abschaffung der Tests vorsieht.”
        Wobei Matthias Makowski, früherer Leiter der Abteilung Sprache im Goethe-Institut, eine kleine Verteidigungsrede zugunsten der Pflichtkurse hält, bevor er dann am Ende seines Artikels wieder beinahe resigniert feststellt:
„Möglicherweise aber ist der Zwang zum Sinnvollen juristisch nicht zu halten."


Und schließlich nun

IV meine Erfahrungen in Frankreich:

Die offizielle wie auch die private Haltung der Franzosen zu ihrer eigenen Muttersprache, deren ungeheurem Wert, und das damit verbundene Sendungsbewusstsein brauchen an dieser Stelle nicht erläutert zu werden.
Was die Haltung zu unserer deutschen Muttersprache angeht, so muss man unbedingt zwischen der privaten und der offiziellen unterscheiden: privat habe ich im Laufe der Jahre nur günstige und sogar sehr freundliche Bemerkungen zu Wert und Schönheit der deutschen Sprache gehört.
Offiziell jedoch gingen die Töne in eine ganz andere Richtung, es wurde zunehmend auf den auffälligen Rückgang des Deutschen an den Schulen verwiesen (als ob das etwas mit Vorsehung zu tun hätte), parallel zu einer Begrenzung auf eine winzige Schar von Erlauchten:
Die Anforderungen in den Abschlussprüfungen des europäischen Referenzrahmens waren so festgesetzt, dass nur hochqualifizierte Germanisten oder Muttersprachler sie zu bewältigen vermochten, trauriger noch, dass die spärlich angebotenen Vorbereitungskurse in einer Pariser Handelsschule in keinem Verhältnis zu den Brüsseler Anforderungen standen.
Das war der allgemeine Rahmen zumindest gegen Ende meiner Zeit; um dies in der Praxis umzusetzen, auch gegen die ausgeprägt schöne Lernbereitschaft bei den Studierenden und gegen die gute Stimmung, die bei Sprachkursen ja weit verbreitet ist, ging die Schule, an der ich tätig war, höchst versteckt, aber darum nicht weniger effizient vor: hinter meinem Rücken (was relativ leicht war, da ich nicht bestellt war, bei den schriftlichen Prüfungen Aufsicht zu führen) ließ jemand von der Verwaltung unter den Studenten Prüfungsdokumente für das Fach Deutsch verteilen, deren Deckblätter jeweils mit einer überwiegend schwarzen Fahne „geschmückt" waren; erst nachdem die Prüfungsarbeiten abgegeben worden waren, bekam ich sie (samt Deckblatt) zur Korrektur.
Dass die betreffende Person in der Verwaltung im Rahmen ihrer durchaus unanständigen psychischen Beeinflussung der Studenten vorsichtig zu Werke ging, sieht man daran, dass sie nicht alle Prüfungsbögen mit schwarzen Fahnen schmückte, dass sie bisweilen auch ganz neutrale Deckblätter ausdrucken ließ.
Unter uns Kollegen herrschte übrigens ein natürlicher, freundschaftlicher Umgangston – die Stimmung war oft überdurchschnittlich gut.
Die oben beschriebene ungeheure anonyme Feindschaft richtete sich, wie sich auch aus dem Vorhergehenden ergibt, ganz ausschließlich gegen das Fach Deutsch in seinem europäischen Rahmen.
Interessanter- oder sollte ich nicht lieber sagen: traurigerweise beobachte ich nun seit meiner Rückkehr in Nordrhein-Westfalen genau die entsprechende Entwicklung mit dem Fach Französisch. Von 27 Schülern wählen 20 Französisch am Ende der 9. Gymnasialklasse endgültig ab. Die Bewertungsmaßstäbe wurden plötzlich nach oben gezogen (- was übrigens keine große Intelligenz erfordert), so dass die sonst „mittelmäßigen" Französischstudierenden jetzt plötzlich mit einem mangelhaft dasitzen und psychologische Unterstützung brauchen oder auch für den Rest ihres Lebens einen unüberwindlichen Widerwillen gegen alles Französische entwickeln. –
Und viele könnten sich auch fragen, vor allem, wenn man Gelegenheit hat, die parallele, zeitgleiche Entwicklung in Frankreich und in Deutschland zu beobachten, wem das wohl nutzt – cui bono?

Annette Rochol
im Juli 2012.