| ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(23) Wir wollen noch etwas weiter ausholen: wir wissen genau –
oder wir könnten es jedenfalls wissen – dass es außer dir und mir und
allen anderen organischen und anorganischen Weltwesen keine Natur gibt,
weder als zentralistischen Punkt noch in irgendeiner anderen aus Schwäche
spintisierten Gestalt; wir haben das alles ausgeführt. Und woher konnten
wir es so genau wissen? Diese Natur Plus war als Weltwesen behauptet oder
als Weltwesen hintenherum nahegelegt; aber wir bemerken nichts von ihr!
Dagegen ist der wirkursächliche, determinierende Gott als jenseitiges
Wesen behauptet: das spricht zwar nicht für seine Existenz (auch nicht
dagegen); aber wir brauchen ihn so denn auch nicht gerade selbst und als
solchen zu bemerken, um nicht zu seiner Verneinung gezwungen zu sein, nur
weil wir ihn nicht bemerken. Wohl aber ist sein Wirken als
weltliches, diesseitiges Wirken behauptet oder jedenfalls mit
Notwendigkeit impliziert, wie wir gerade (im vorigen Absatz) deutlich zu
machen gesucht haben. Deshalb müssten wir, um nicht zu seiner Verneinung
gezwungen zu sein, sein wirkursächliches, determinierendes Wirken
empirisch! bemerken. Tun wir das? Wir bemerken das Versagen der uns
untergeordneten, uns dienenden Wesen, z.B. unserer Organe, wenn wir krank
werden, alt werden oder sterben: „Das Herz macht nicht mehr mit." „Die
Nieren machen nicht mehr mit." Usw. Diese Weisheit der Sprache, die auf
allumfassende Menschheitserfahrung, und nicht auf die eine oder andere
vereinzelte Selbsttäuschung zurückgeht, ist mehr wert als alles gelehrte,
pseudophilosophische Geschwätz. Oder: wir bemerken das Wirken von
Weltwesen, die uns in der einen oder anderen Hinsicht überlegen sind,
angefangen von unseren Feinden bis zu dem Wirken von Krankheitserregern;
wir bemerken die Auswirkungen unserer eigenen Grenzen und
Unvollkommenheiten: wir haben alles das freiwillig in Kauf genommen, als
wir ins Dasein traten; oder wir mussten es übernehmen, weil wir etwas
abzuarbeiten hatten. Und wir bemerken die Fehlerhaftigkeit unseres eigenen
Wesens: unseres eigenen ewigen Entschlusses: unseres eigenen, von uns aus
unveränderlichen Charakters, wie schon gesagt. Aber davon, dass jemand uns
wirkursächlich und folglich mit determinierender Wirkung schafft –
„erschafft"! – bemerken wir auf empirischem Weg gar nichts: bei der
Erfahrung der Außenwelt sowieso nicht; aber auch bei der Erfahrung unserer
eigenen Innenwelt nicht: da, wo wir es bemerken müssten! Und auf
außerempirischem Weg bemerken wir davon ja wohl erst recht nichts. „Unsere
Erschaffung ist ja auch schon eine Zeitlang her"? Aber lieber Freund, wir
müssten den fremden, allbeherrschenden allerabsolutesten Eingriff jeden
gegenwärtigen Augenblick bemerken, da er ja fortexistiert; genau genommen:
da zumindest seine volle Wirkung fortexistiert. Und wir müssten ihn erst
recht bemerken, da die ständige Neuschöpfung (die creatio continua, und
nicht die bloße Fortexistenz) mit zum Dogma gehört; und zwar aus gutem
Grund, schon wegen der Zeitlosigkeit des „Dinges an sich", ganz sicher
aber gehört sie deshalb mit dazu, weil die Bedeutung des Schöpfer-Gottes
sonst eingeschränkt wäre, was für unsere Freiheit schon einmal einen
Silberstreif am Horizont bedeuten würde. Was wir dagegen bemerken,
sind Schuldgefühle, Selbstvorwürfe, Ärger über uns selbst, wie gesagt: die
ganze gerade eben erst vermerkte Fehlerhaftigkeit unseres von uns aus
unveränderlichen Charakters. „Aber das ist es ja! Das sind ja gerade
unsere Selbsttäuschungen." Das sind sie zwar nicht; nehmen wir jedoch
einmal an, sie wären es – nachgiebig, wie wir ja sind! Warum aber lassen
wir uns dann immer und ewig etwas vor Augen führen, was wir angeblich
nicht sind, nämlich verantwortlich und folglich frei; und nie das, was wir
angeblich tatsächlich sind, nämlich „geschaffen" und determiniert. Über
eine abstrakt und ungenau gedachte Determiniertheit könnten wir uns
vielleicht hin und wieder täuschen, in dauerhafter Weise allerdings auch
nicht – wir haben die Gelegenheiten gerade aufgezählt, unsere Begrenztheit
usw.; aber darüber, dass wir etwa „geschaffen" wären, voll und ganz, mit
Haut und Haaren, nämlich „aus dem Nichts", also über das Massivste, was
unserem Wesen zustoßen kann, was aber die Voraussetzung unserer
Determiniertheit und Unfreiheit ist, könnten wir uns nicht immer und immer
wieder, nicht ewig und ausnahmslos täuschen: wir müssten es bemerken.
Dieser Gesichtspunkt allein müsste schon genügen, um den Gedanken an einen
total determinierenden Schöpfer-Gott aufzugeben. Was wir aber sehr wohl
und tatsächlich erleben, wenn auch in unserer Zeit immer seltener, ist
eine gewisse demoralisierende Albernheit und morbide Selbstbespiegelung,
naturgemäß auf Grund von grauer Theorie: „So hat der Herrgott mich
erschaffen" tönt es, wenn wir die Absicht haben, uns gehen zu
lassen. weiter
© www.rochol.net, Dr.Hans Rochol, September 2003. |