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Das
Abendland und das Christentum. Die sogenannte Schöpfung. Zuerst
müssen wir möglichst kurz einen Gewohnheitsfehler aus dem
Weg räumen, der bei manchen auf Unehrlichkeit zurückgeht;
es gibt eine teilweise bewusste Unehrlichkeit; hier und da kann sie
aber auch vollständig bewusst sein. Es heißt, das Christentum lehrt: Gott hat die Welt erschaffen, der Sohn Gottes hat sie erlöst. Das letztere ist wirklich Lehre des Christentums, das erstere ebenfalls, aber es ist eine falsche Lehre. Außerdem eine sehr wesentliche! Denn das Ergebnis in ihrem Fall wäre, dass wir keinen freien Willen hätten, wie wir sehen werden. Wovon hat der Sohn die Welt erlöst? Von Sünde und Schuld. Von beidem war sie nämlich erfasst, und zwar bis damals unheilbar. Was setzen Sünde und Schuld voraus? Unseren freien Willen. Nun heißt es, Gott Vater erschuf die Welt. Was hätte er denn in dem Fall unter anderem erschaffen? Unsere menschliche Natur, die ja zur Welt gehört. Und was ist der freie Wille? Eine Bewegung unserer menschlichen Natur. Wir bestehen aus nichts anderem als aus dieser menschlichen Natur; also gehört die freie Bewegung des freien Willens zu uns, sie ist ein Teil unserer menschlichen Natur. Folglich würde Gott, wenn es so wäre, unmöglicherweise, weil widersprüchlicherweise, auch die Bewegung unseres freien Willens schaffen, "erschaffen" – und wir haben ja gesagt: diese Bewegung ist von Schuld und Sünde erfasst, und zwar war sie es bis zu unserer Erlösung in unheilbarer Weise. Wie versucht man denn eine Bewegung zu schaffen, zu "erschaffen"? und dann auch noch, widersprüchlicherweise, eine "freie" Bewegung zu "schaffen"? Indem man entweder ihre "zwingenden" Voraussetzungen schafft und auf diesem Wege mittelbar auch sie selber – sollte man ihre zwingenden Voraussetzungen nicht kennen, so könnte man sie auf diesem Wege vielleicht nicht schaffen – oder man betreibt die Bewegung unmittelbar selbst. Sowohl im ersten wie im dritten Fall würde Gott sündigen, indem er "sündige", "amoralische" Wesen schafft, "erschafft", die durch eben diese sündige Schöpfung determiniert sind, und würde infolgedessen seinerseits sündigen. Folgen wir also jedenfalls dem konsequenten Christentum, dann brauchen wir keine Schöpfung durch Gott, und so auch keine Sünde Gottes – falls er überhaupt jemals eine solche begehen würde; und das können wir bei alledem, was wir gedacht haben, nicht gut glauben. Allerdings lassen wir dann eine vermeintliche Teilwahrheit des Christentums fallen, nämlich die Schöpfung. Aber warum sollte man eine bloße vermeintliche Wahrheit nicht fallen lassen? – Freunde, wir ständen so, unter anderem, vor einem der reinsten und schönsten Bilder, die wir vieleicht einmal in unserm Innern tragen: Gott und die Welt, ganz so, wie er sie will. Es fehlte uns dann nur noch die Weisheit, zu wissen, wie sie in diesem Zustand aussieht; vielleicht aber ließe er uns das Glück, gegen unsere Natur zu sehen, welches Bild sie zeigt; vielleicht auch hat er schon einmal dem einen oder anderen zu einer solchen Vision verholfen; nur jetzt, in diesem Augenblick, sind wir sehr weit davon entfernt. – Hat Christus in seinem Alltag jemals das Wort "Schöpfung" in den Mund genommen? Schon! Nicht dauernd oder immer wieder; aber die Konkordanzen über das "Neue Testament" legen es nahe, daß er es in begrenztem Umfang tat. Außerdem: das "Neue Testament" braucht keine wörtliche Wiedergabe der Worte Christi zu sein; es ist überdies höchst unwahrscheinlich, dass es das ist; die dauernde Situation Christi und seiner Anhänger war nicht von der Art, dass jemand sich leicht Notizen hätte machen können. Und die "Schöpfung" könnte den Juden erst recht der damaligen Zeit durch das "Alte Testament" so sehr eingehämmert worden sein, dass man Verständnis haben müsste, wenn die Autoren des "Neuen" insoweit bei der Begrifflichkeit des "Alten Testamentes" geblieben wären. Weiter könnte man sagen: "Als Mensch konnte Christus sich auch irren." Oder er hat sich gesagt: "Die Lösung philosophischer Fragen gehört nicht zu meinen Aufgaben, das können die Menschen selbst in Ordnung bringen, ich will meine Zuhörer nicht mit solchen Fragen in Verwirrung bringen." Und so weiter, und so fort. Vor allem aber: zwar war Christus ganz sicher der wichtigste Mann bei der Schöpfung und Verbreitung des Christentums: Er war es in Tat und Wort; insofern haben diejenigen Theologen Unrecht, die jemals von Paulus als dem Schöpfer des Christentums gesprochen haben. Aber hinsichtlich der Verbreitung haben sie nicht ganz Unrecht: man braucht nur das Neue Testament zu verfolgen, und man weiß, wer den ersten größeren und entscheidenden Vorstoß auf das weitere Gebiet des römischen Reiches vorgenommen hat. Oder man liest die Briefe der Apostel und weiß alsbald, wer zu den herrschenden Köpfen unter ihnen gehörte, wenn Paulus dabei auch wahrhaftig die eine oder andere Unklarheit in Kauf nahm, schon weil bei seiner gigantischen Missionstätigkeit sein Tagesverlauf nicht die Ruhe und Beschaulichkeit gehabt haben kann, die ein philosophierender Mensch braucht. Es war typisch: ausgerechnet Paulus, ursprünglich der Verfolger der neuen Christengemeinde, aber ein nobler Kopf, der zugleich tief über das nachdachte, was er verfolgte, schuf höchstwahrscheinlich die meisten christlichen Gemeinden und hat sich in einer Fülle von Briefen auch am umfangreichsten den Kopf über theologische Fragen zerbrochen. Und so denn auch über die laut Altem Testament von Gott zu schaffende menschliche Natur. Denn Gott konnte ja offensichtlich nicht einen Menschen "A" wollen, der im nächsten Augenblick dann doch wieder nicht dieser, sondern ein ganz anderer Mensch, "B", war und dann wieder ein anderer Mensch, nämlich "C", und so weiter, etwas, das ständig im Fluß und folglich ohne brauchbare Individualität gewesen wäre. Sondern er wollte Naturen, die ein Ziel erreichen konnten und die folglich! mit logischer Notwendigkeit: einer Struktur, einem Wesen und einer Natur folgend, auch einen bestimmten Wert und einen bestimmten Charakter haben mussten. Paulus erkennt das alles oder könnte es jedenfalls erkennen, wenn er auch nicht alles ausspricht, und kommt z.B. im Brief "An die Römer" zu dem Ergebnis, dass die angeblich von Gott geschaffenen Wesen mehr als unvollkommen sind: "Warum hast du mich so gemacht?" (Kapitel 9, Vers 21). Er erhebt also denselben Einwand, den schon viele andere und so auch wir vorhin erhoben haben. Nur mit dem Unterschied, dass wir inzwischen zu dem Ergebnis gekommen sind: Gott könne uns, wegen dieser Beschaffenheit, absolut nicht geschaffen oder "erschaffen" haben. Und zwar erstens deshalb nicht, weil wir dann eine festliegende Natur und folglich keinen freien Willen hätten, folglich nicht sündigen könnten und so denn auch keinen Erlöser brauchten. Denn wer kann ein Wesen schaffen, ohne es entweder so oder so oder wieder anders, in jedem Fall aber nur mit ganz bestimmten Eigenschaften zu schaffen; und zwar entweder ausschließlich mit solchen, die der Schöpfer allein und souverän bestimmt hätte, oder auch nur deshalb, weil er gemäß dem Begriff des Schaffens gezwungen wäre, dem Geschöpf irgendeine, wenn auch beliebige, nach vollzogener Wahl aber bestimmte und festliegende Struktur zu geben. Und dieser gesamte Begriff ist von der Orthodoxie ja gerade zugrundegelegt worden. Der Schöpfer könnte auch gewisse Wesensteile weglassen; diese Teile müssten dann, wenn nicht vom Schöpfer, von dem betreffenden Geschöpf ergänzt werden, das dadurch seinerseits wieder zu einem Schöpfer würde; eben dieses Schöpfer-Geschöpf würde nämlich die vom göttlichen Schöpfer restlos bestimmten Strukturen seiner schon vorhandenen Teile restlos auf die noch zu ergänzenden Teile übertragen. Sämtlich nach dem allumfassenden Gesetz der Logik, dass die Struktur des Schöpfers, sei er nun Gott oder Mensch oder was auch immer, die Struktur und das Ergebnis des Schöpfungsvorgangs gemäß dem freien Willen oder der festliegenden Struktur des Schöpfers bzw. aller beteiligten Schöpfer bestimmt. Und zweitens könnte Gott auch um seiner Göttlichkeit willen keine solchen unvollkommenen und katastropalen Wesen geschaffen haben, wie wir es sind – der eine mehr, der andere weniger. Es heißt Römer 9,21ff.: Oder darf der Töpfer aus derselben Tonmasse nicht ein gelungenes, oder auch ein misslungenes Gerät machen, je nachdem wie er will? Wenn Gott den Willen hat, seinen Zorn zu zeigen und seine Macht deutlich zu machen, dann führt er in großer Geduld die Geräte des Zornes mit sich, die für Vernichtung gemacht sind, auch um den Reichtum seiner Ehre an den Geräten seines Erbarmens bekannt zu machen, die er für den Ruhm vorbereitet hat; für uns, die er nicht nur bei den Juden, sondern auch bei den Heiden berufen hat. So wie er auch im Osee sagt: Ich werde das Volk, das nicht mein Volk ist, mein Volk nennen, und das nicht Geliebte das Geliebte; und das wird an dem Ort sein, wo ihnen gesagt wurde, ihr seid nicht mein Volk, dort werden sie Söhne des lebenden Gottes genannt werden. Jesaias aber ruft über Israel aus Wenn die Zahl der Söhne Israels wie der Sand am Meer ist, dann wird das, was übrig bleibt, gerettet. Denn das Wort vollendend und verkürzend wird der Herr auf Erden sprechen. Und wie Jesaias vorhergesagt hat: wenn nicht der Herr Sabaoth uns Samen zurückgelassen hätte, so wären wir wie Sodoma geworden, und gleichwie Gomorra gewesen. Was werden wir nun sagen? Dass Völker, die nicht der Gerechtigkeit folgten, die Gerechtigkeit erreichten, aber es war die Gerechtigkeit aus dem Glauben. Israel aber, das dem Gesetz der Gerechtigkeit folgte, erreichte nicht ihr Gesetz. Warum nicht? Weil es nicht aus dem Glauben handelte, sondern sozusagen aus den Werken. Sie stießen an den Stein des Anstoßes, so wie geschrieben steht: Siehe ich setze auf Sion den Stein des Anstoßes und den Felsen des Ärgernisses, und wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden. Seltsam! Glauben zu sollen, dass Gott wegen dieses von Luther wiederaufgegriffenen Gedankens bei Paulus: "nicht um der Werke willen", sondern "aus unserem Glauben", dass er also deshalb unsere "Werke" oder vielleicht auch unseren Glauben, oder vielleicht auch umgekehrt, annehmen werde. Aber es geht, grundlegend, nicht um diesen Punkt, sondern um die unendlich einfache Wahrheit, dass wir als geschaffene Wesen, also als Wesen ohne freien Willen, einer Schuld und folglich auch einer Erlösung gar nicht fähig wären. Und es geht weiter darum, dass wir nur dann einen freien Willen haben können, wenn wir "aus uns selber" sind; und dass wir als Wesen aus einem anderen, und sei es auch aus Gott, weder einem "aus uns selber" noch einem freien Willen irgendeine Anknüpfung an unser Wesen bieten können. Hinduismus,
Folgerichtigkeit und
Christentum.
Soweit
zunächst das, was logisch, was folgerichtig ist. Fassen wir nun, um unserem eigentlichen Ziel näher zu kommen, die größten und hervorstechendsten Religionen der Welt ins Auge: den Hinduismus, den Buddhismus, das Judentum, das Christentum und den Islam. Sollen wir auch die alten heidnischen, polytheistischen Religionen mit dazunehmen? Nein! Deren Begriff ist einerseits so einfach, dass er für unsere Gesichtspunkte nicht viel hergibt; andererseits aber ist er so vielgestaltig, dass wir an kein Ende kämen. Ich beginne zunächst mit der Beziehung des Hinduismus zu seinem Ursprungsort. Der Hinduismus ist in dieser Hinsicht besonders eindeutig und einfach; er entstand in Indien durch Inder, bei ihnen blieb er im Großen und Ganzen und wirkt heute immer noch dort, ohne wesentlich darüber hinauszugehen. Und was ist seine Bedeutung gerade an seinem Ursprungsort? Nicht gerade der Monotheismus, aber doch der Gedanke an einen höchsten Gott; oder an mehrere höchste Götter, die aber doch zusammengehören: an eine "Dreifaltigkeit": an das "trimurti"; und sollte das alles nicht der Fall sein – umder Hinduismus ist nicht immer eindeutig – dann könnte es immer noch um die Grundlegung oder um die Möglichkeit des Gedankens gehen. Verfolgen wir diese Grundlegung, dann aber auch die Konsequenzen, alles aber mit Hilfe unserer eigenen Schlüsse und Gedanken: Wir sind verantwortlich; das wissen wir unter anderem zutiefst. Dieser oder jener sagt, wir hielten uns nur deshalb für verantwortlich, weil man uns unsere Verantwortlichkeit, unser Gewissen seit Generationen "anerzogen" habe: es geht hier nur das ewige primitive Spiel zwischen dem "Genetischen" und der "Umwelt" oder dem "Milieu"! nun, wir werden sehen. "Seit Generationen", das musste man schon sagen; denn zu viele Menschen haben genau erfahren, dass man ihnen ihr Gewissen nicht innerhalb der Grenzen ihres Lebens oder innerhalb der Grenzen einer einzigen Generation "anerzogen" haben kann. Aber: "innerhalb der Grenzen ihres Lebens"? Viele Menschen wissen sogar, dass sie ihr Gewissen schon von klein auf haben; und damals konnte man es ihnen schon gar nicht "anerzogen" haben. Also, er musste sagen "seit Generationen". Aber: erworbene Eigenschaften vererben sich nun einmal nicht! Gibt es unter unseren so eindrucksvollen, so imponierenden, alles wissenden Linken, gibt es da Leute, die das nicht wissen? oder übersehen sie bewusst die Tatsachen, die ganz offen liegen? Also, wir sind verantwortlich! Und was schließen wir daraus? Dass wir "aus uns selber" sind! Alles Wesentliche von uns, das wir verantworten, geht aus uns selbst hervor, aus unserer Natur, die wir denn auch verantworten. Es gibt von uns nichts anderes als sie; sie ist das einzige, wodurch wir sind. Für die Natur, die wir selbst geschaffen haben, und für das, was sie erstrebt, weil sie unsere Natur ist, sind wir denn auch verantwortlich. Warum denn sollten wir, was wir geschaffen haben, nicht verantworten? Freunde, warum sollten wir nicht alles, was wir werden, auch selber schaffen? Und auch: es geht nicht anders; wir haben es vorhin gesehen! Sonst existierte gar nichts; was offensichtlich nicht so ist. Oder: andere müssten uns erschaffen haben? Aber, Freunde, dann müssten wir auch schließen, dass wieder andere diese anderen erschaffen haben müssten, usw. ins Unendliche. Diese Unendlichkeit aber ist unmöglich: Wir kämen an kein Ende; sämtliche "wieder anderen, die diese anderen erschaffen haben" müssten, würden nicht existieren. Es ist schon vernünftig und dementsprechend richtig anzunehmen, dass dieser Jeder, der jeder von uns ist und der dynamisch ist, seine Dynamik aus sich selber hat; was ist denn Dynamik, die von einem andern herkommt? sie ist ganz bestimmt nicht unsere Dynamik, dann aber sind es auch nicht wir, die in ihm "aus uns bestehen". Denn wir sind ja letzten Endes nichts als nur Dynamik; glauben wir denn, es gebe, ganz und gar und wirklich letzten Endes, außer der Dynamik auch noch Atome und dann auch noch deren "Kerne": "Positronen", "Neutronen", "Elektronen" oder sonstwas, deren Masse so dicht wäre und so zusammenklebte, dass sie nicht dynamisch , sondern "steif" und "fest" oder sonst was Ähnliches wären? Sogar "noch das Ding an sich ist Wille", sagt Schopenhauer; man könnte auch sagen: "Gerade der Wille ist das Ding an sich." Man denke nur: "Wille" und "Ding"! Wille ist reine, pure Dynamik. Aber auch wenn das zuletzt Gesagte nicht so wäre: was vorhergeht, reicht zum Aus-sich-Selber. Und das Aus-sich-Selber ist genug, Ausreichendes aus sich zu machen, mit allen Wesen zwischen Null und vollkommen, nach dem Zuge der Entwicklung! Vor allem aber: "Werden" ist kein Nichtsein. Im jetzigen Fall ist es ganz offensichtlich auch ein "Schaffen", bestehend aus Dynamik pur. Nur aus demselben Grunde also, weil wir aus uns selber sind, bleiben wir auch weiter das, was wir nun einmal sind; es ist ein ständiges, ein immer neues Werden aus uns selbst – wir haben dann aus allen diesen Gründen zugleich auch einen freien Willen: nach der Bewegung unseres eigenen Seins, aus der wir uns ja selbst bestimmen. Überdies: im Augenblick der Ewigkeit, wohlgemerkt in einem "Augenblick", der aber ewig ist, in dem nichts zeitlich aufeinanderfolgt, ist alles Seiende entstanden: das Hohe und das weniger Hohe, der Allerhöchste oder einer von ihnen und das Allereinfachste. Denn: Keine Zeit, mit ihrem Vergehen, im "Ding an sich"! Und auf das "Ding an sich" kommt es ja an! Dass es so ist, siehe dafür Kant: "Transszendentale Ästhetik" am Anfang der "Kritik der reinen Vernunft": Zeit? mit ihrem Vergehen? Nur in der "Erscheinung"! Und Einstein? der ja etwas anderes vermeint und "Kant widerlegt hat"? Nur Folgendes: zum Beispiel Max Planck hat eine Entdeckung gemacht; wahrscheinlich war es die "neue Naturkonstante", das "plancksche Wirkungsquantum", aber darauf kommt es jetzt nicht an; sondern: Einstein entdeckte später als Planck – ja was wohl? – genau "dasselbe" wie Max Planck schon vor ihm, seltsam auch das! Was einmal schon entdeckt ist, braucht ja nicht noch einmal entdeckt zu werden! Vor allem aber: der Kommentar des Mannes, der Bericht erstattete darüber, wie Einstein neu hinzukam, erschöpfte sich in einem "Jetzt wurde es ernst". Freunde, wenn jemand, so wie hier Herr Einstein, ein so hohles Lob benötigt, so kann es sein, dass er nur scheinbar eine Größe ist. War Max Planck denn seinerseits nicht ernst? Vernichtend für Einstein! Also, wie gesagt: Ewigkeit! und keine Zeit im "Ding an sich"! Also: wir verdanken unser Dasein niemand anderem als uns selbst; es gibt zahllose Grade von Wesen, zahllose niedere, weniger hohe Grade, wie uns die Erfahrung lehrt, und höhere und höchste Grade ausweislich unserer Vernunft; siehe für sie, neben allem schon Gesagten: Descartes, der sagte, wenn er "aus sich selber" wäre, so würde er unzweifelhaft und selbstverständlich das höchste Wesen aus sich selber machen – Das aber tat er nicht, auch deshalb nicht, weil er gleich anfangs eine der weniger hohen Stufen war, die ein höchstes Wesen, bei dem, was man "Entwicklung" nennt, zeitlos vorher schon durchlaufen hatte. Auch hierüber kam er nicht hinaus, erstens weil er es nicht konnte, weil das Wesen der Entwicklung ihm dazwischentrat, und zweitens, weil er noch vermeinte, er sei vom höchsten Wesen geschaffen. Nur hätte er bedenken müssen, dass er dann auch keinen freien Willen haben konnte. Was wäre, wenn wir unser Dasein nicht uns selbst verdankten? Nehmen wir an, wir verdankten unser Dasein Gott, wie ja alle Kirchen es vermeinen, so würde unser Wille sich unfrei nur nach unserm Dasein richten und aus ihm hervorgehn, so wäre eben Gott für uns auch alles, und für jedes wäre er allein verantwortlich; wir wären es dann nicht mehr im geringsten Grade; Erlösung von der Schuld, durch Gottes Sohn, alles das, was wir "Erlösung" nennen, wäre völlig überflüssig; und so fort. Die Konsequenz ist oft genug dem Zweifler an der Religion mehr oder weniger heimlich völlig recht gewesen; so wie es in vielen literarischen Produkten, oft scheinbar scherzhaft, in Wahrheit aber immer ernst, zum Ausdruck kommt; oder auch: die Konsequenz hat den, der zustimmt oder der sie fürchtet, mehr oder weniger zur Verzweifelung gebracht; ich vergesse nie, wie Leibniz unter ihr gelitten hat. Wie aber wäre es, wenn wir unser Dasein einem Wesen verdankten, diesem oder jenem, das uns mehr oder weniger ebenbürtig wäre? unter anderem, weil ein so hohes Wesen wie "Gott", der "Herrgott", angeblich "nicht existiert". Die Frage wäre, wem ein solches Wesen seinen Schritt ins Dasein seinerseits verdanken würde, da es einen solchen "Schöpfer" ebenso gut selber brauchte wie wir alle. Ebenso mit allen anderen gleichen oder ähnlichen Gechöpfen! Und so weiter ins Unendliche! Und schließlich, spätestens, ins Widersprüchliche! wenn die Reihen so lang geworden sind, dass gegenseitige "Schöpfungen" unausweichlich würden. Machen wir uns keine Sorgen: Gott, das "höchste Wesen", oder irgendjemand sonst kann uns nicht schaffen, ohne "unsere Natur", "uns selbst", die Basis der Entscheidungen und "alles das, was wir nur sind" und was der Freiheit unseres Willens als Quelle zur Verfügung steht, bis in alle Einzelheiten festzulegen und damit jede freie Entscheidung zwischen Gut und Böse, jeden persönlichen moralischen Wert, allerdings auch jeden Unwert auszuschließen. Wir brauchen es nicht weiter auszuführen. – Kant hat es auf seine Art, z.B. in der "Transzendentalen Ästhetik" am Anfang der "Kritik der reinen Vernunft" gezeigt, ohne es sichtbar zu wollen. – Alles Kleine und alles Große ist schon im Augenblick der Ewigkeit in voller Freiheit, ohne Zeit und ohne Dauer entstanden und geworden, ganz "aus sich". Soviel zu "Hinduismus, Folgerichtigkeit und Christentum" – soweit es uns bei unserem Thema "Abendland und Christentum" im Augenblick betrifft! Das
Judentum und wir. Schopenhauer
sagt: "Das Christentum hat indisches Blut in den Adern."
Und wir haben sowohl darauf wie auch auf unseren eigenen Überlegungen
aufgebaut, um diese Wahrheit fest zu begründen. Im übrigen
hat das Christentum auch viel vom Judentum, ganz sicher nicht weniger
als vom Hinduismus. Und erinnern wir, bei der Behandlung der Religion
der Juden, auch jetzt wieder an deren örtlichen Ursprung;
stellen wir uns aber jeder für sich zugleich die Frage, ob die
Linie vom Judentum nur zu den Christen oder auch zu anderen verläuft.
Und denken wir dabei zugleich daran, auch jeder für sich, in
welchem Sinne die Religion dieser anderen vielleicht sogar das
Gegenteil von dem besagt, was die Religion der Juden bedeutet, und in
welchem Sinne beide etwa miteinander harmonieren. Das Volk der Juden soll, anfangs aus einer einzigen Familie bestehend – denken wir an "Abraham, Isaak und Jakob" – schließlich in Ägypten groß geworden sein. Und nachdem es das nun also war, wanderte es, verbunden mit den Streitigkeiten, die in solchen Fällen zu entstehen pflegen, nach Palästina im benachbarten Nordosten aus, in das von Jahwe, dem streng monotheistisch gedachten und vielleicht auch erlebten Gott, "gelobte", das heißt: in das von ihm versprochene Land. So wurde nach der Vertreibung der Ureinwohner zunächst Palästina, das "gelobte Land", das versprochene Land, der Sitz des jüdischen Volkes und seiner Religion, die mit dem gerade besagten "Gelöbnis" gewissermaßen begonnen hatte oder jedenfalls in eine Stärkung eingetreten war. So weit, so gut. Jedoch am Schluss, im Jahre 70 nach Christus, wurden "die Juden" unter Kaiser Titus wegen eines Aufstandes aus dem "gelobten" = versprochenen Land wieder vertrieben. Allerdings waren es in ordentlicher bürokratischer Bedeutung wohl nicht wirklich alle Juden, die vertrieben wurden; das Volk hatte nur aufgehört, seine religiös-politische Rolle als "palästinensisches" Volk zu spielen – bis es gegenwärtig, in unserer Zeit, zugleich mit den arabisch sprechenden neuen, jetzigen Palästinensern, an ihrem alten Land wenigstens wieder teilhaben soll; was allerdings, so wie man die Menschen kennt, gerade nicht befriedet und versöhnt, sondern eher zu Krieg, Vertreibung und ähnlichem führt. Außerdem leben spätestens seit der dynamischen Entwicklung des Abendlandes im frühen Mittelalter, auch als Träger ihres Glaubens in ganz Europa Juden, ähnlich wie in gewissen moslemischen Ländern, die mit dem Römerreich von früher her verbunden sind – so als ob Juden, Christen und Moslems nicht ohne einander auskommen könnten – und so dass die jüdische Religion, was die sporadische Örtlichkeit betrifft, der Wohnweise aller gläubigen jüdischen Familien im alten Römerreich und vor allem im alten Europa ähnlich sieht. Und der Inhalt der jüdischen Religion? Monotheismus strengster Art! alle Gebiete des Lebens beherrschend – wenn auch den größten Teil des ersten vorchristlichen Jahrtausends hindurch ohne Glauben an ein Fortbestehen im Jenseits! So was bringt man fertig! Aber es wurde dann ja auch besser. Trotzdem gehört zu allem erstrangig die Prophezeiung, ein "Messias" werde kommen und die Juden und wohl auch den Rest der Menschheit oder einen Teil von ihm von ihrem Sündenfall befreien, wenn ich das Wesentlichste richtig verstanden habe. Eine Frage könnte lauten, ich bedenke sie seit früher Jugend: Wie lange wollen die gläubigen Juden auf den Messias warten, der sich nach ihrer Auffassung bis jetzt noch nicht gezeigt hat? Eine logische Schwierigkeit liegt darin allerdings nicht! Der Messias kann warten, solange er will; wenn er nur irgendwann kommt – so absurd der Zustand auch auf uns wirkt und wenn der Ersehnte oder nur noch Geschaute und heimlich etwa schon zu einem rationalisierenden Mythos Gewordene auch eine Ewigkeit auf sich warten lässt. Und die Beziehung der Juden zu uns Christen? Der Messias so, wie jedenfalls die Christen ihn sehen, hat einen moralischen Höchststand, der nicht zu übertreffen ist; so müssen selbst die urteilen, die nicht an ihn glauben: Gottes Sohn, selber Gott, der zur Sühne für eine Schuld, die auch wir ihm gegenüber haben, leidet und stirbt! ein Gesichtspunkt, der vielleicht zugleich das richtige Licht auf das Alte Testament und seine Messias-Prophezeiungen wirft – wenn das Alte Testament an einigen anderen Stellen manchen auch nicht ganz befriedigt. Das
Christentum und das Abendland. Der
Buddhismus.
Gibt
es jemanden, der höher steht als der Messias? – ob wir ihn
verstehen oder nicht. Gibt es etwas Höheres als den Sohn des
Allerhöchsten, der selbst ein Allerhöchster ist und
der sich trotzdem selber opfert, um die Welt vor Zorn und Unwillen
des Moralischen zu retten und zu bewahren? Des Moralischen? Ja, ist
der Allerhöchste das denn nicht? Auch Christus ist ein solcher
Allerhöchster, wenn auch der eine es glaubt und der andere es
sich nur vorstellt; und sei es auch nur in säkularisierter oder
in veredelter Gestalt. – Eine veredelte Gestalt bleibt selten
säkular. Und die Kunde von Christus entstand nicht hier im Abendland, nicht bei uns, sondern fern von hier im Orient, in Palästina. Unser gesamter Kontinent war weit von alledem entfernt: Nordeuropa, Mittel- und Westeuropa, der Süden und der Osten unseres Kontinents, nichts von alledem wusste anfangs irgendetwas von einem solchen Christus. Die Kunde breitete sich im Orient aus, aber kein Land des Orients blieb schließlich und endlich als Ganzes dabei; deutet das vielleicht darauf hin, dass auch nur wenige Herzen im Orient darauf gekommen sind? Die übrige Welt erfuhr es zunächst nur sporadisch; und im Orient hielten nur kleine Gruppen auf die Dauer daran fest – aber, wie wir sehen werden, nicht im gleichen Sinne wie bei uns im Abendland. Und ausgerechnet nur der Kontinent Europa, der anfangs gar nichts und zwischendurch nur weniger davon wusste, wurde schließlich und endlich als ganzer christlich: der Norden, später auch Amerika wurde es durch Skandinavier, Deutsche und zum Teil durch Angelsachsen, die Mitte und der Süden Deutschlands unter anderem durch Franken und Sachsen. Spanier und Portugiesen: durch Westgoten, Sweben und Wandalen, oder umgekehrt; es wären noch mehr zu nennen, auch alle Völker, die ihnen folgten, die sich mit ihnen vermischten. Wie sagte Ortega y Gasset vom Spanier? "Es un Europeo" "Er ist ein Europäer", selbst er noch mit seinem begrenzten germanischen Blutsanteil, so meinte er es nämlich! – So wurde er, den man früher einmal, noch lange nach 1945, bis tief in die fünfziger Jahre, auf den Schulen las, allmählich ausgeschieden und nicht mehr gelesen! Das Christentum hatte seinen Boden auf dieser Erde einmal da, wo Christus lebte, auf dem damaligen Boden Palästinas, wo so gut wie niemand lebte außer Juden; jetzt ist es im Großen und Ganzen nicht mehr dort, überall nur Spuren, nur kleine Gruppen, die noch übrig sind. Und da, wo nichts von ihm zu sehen und zu hören war, wo jede Spur von ihm noch fehlte, dort war es später voll und ganz und mit aller Kraft vorhanden. Dort lebt es auch noch heute, in großer und stiller Innerlichkeit und Schönheit, vielleicht in der einen oder anderen tarnenden, verheimlichten Gestalt, vor allem aber: Es lebt dort immer noch! Und dort kann es noch heute und später in vollem Glanz, vielleicht einmal in ungeahntem Glanz aufleuchten – doch das ist etwas anderes, wer nicht will oder es nicht kann, braucht es ja nicht zu glauben. Das Christentum die einzige Religion auf dieser Erde, soweit wir wissen, deren Botschaft dieser Art war! Oder war es nicht die einzige?
Der
Buddhismus.
Wie
reagierte der Buddhismus? – einmal abgesehen davon, dass kein
einziges der Länder seines Wirkungskreises eine Wirkung wie
Europa hatte; was allein für sich schon ausreicht, falls man
unter Rücksicht auf die Umstände einen Hinweis auf den
höchsten Rang des Christentumes ziehen will. Der Buddhismus kam aus Indien, dank Buddha, einem Inder, irgendwann, grob gesagt um 300, um 400 v.Chr., und war, nachdem er dort gediehen war und dort blühte, genau ab 1600 n.Chr., also nach etwa 2000 Jahren, seltsamerweise in Indien nicht länger zu sehen, bis heute aber immer noch bei den in ganz Ostasien, in Südostasien und so denn auch in China und zum Teil noch im zentralen Asien und in Ostsibirien lebenden Völkern. Stellen wir uns nun aber einmal vor: wie der Buddhismus einst in Indien, bestände jetzt das Christentum in einem zusammenhängenden jüdischen Land – wenn es das gäbe – ab dem Jahre 0 bis heutzutage und ab heute immer noch ein paar Jahrzehnte; entsprechend bestände es, und hier ganz ohne zeitliche Beschränkung, in Europa und dann auch noch in ganz Amerika und ganz Australien, grob berechnet, etwa ab dem Jahre 0 - 500 n.Chr. Würde irgendjemand nach so langer Zeit des Christentums in einem Land von Juden, ab dem Jahre 0 - 500 n.Chr. zweitausend Jahre und noch ein paar Jahrzehnte länger, würde also er vermeinen: das Christentum, wenn danach und außerdem nur anderswo bestehend, sei eigens nur für diese erstgenannten Länder da – oder nur für die zu zweit genannten? Und wie das zu erklären sei? Ob nicht eine höhere Macht es wollte, dass es gerade da verblieb, wo es gerade nicht entstanden war, im Abendland, oder auch gerade nicht? Um klarzumachen, woher es wirklich kam? Von oben her. So doch wohl nicht! Man würde nach einem anderen Grund für das erst äußerst späte, irreal erdachte Verschwinden des Christentums aus dem Bereich des Judentumes suchen – so wie etwa für den Ausstieg des Buddhismus aus dem Lande Indien erst nach Jahrtausenden. Und so ist denn das Christentum die einzige Religion, die nach ihrer Entstehung in andere Länder, auf einen anderen Kontinent geriet als dahin, woher sie kam; sie sollte vorrangig zu Europas Gunsten und in dessen Sinne wirken. Und jeder möge sich, wenn er den Geist des Kontinents bedenkt, vielleicht am besten selber sagen, was der Grund genauer war – ganz abgesehen einmal davon, wie vorhin gesagt, dass kein einziges der Länder aus Buddhas Wirkungskreis eine so gewaltige Wirkung wie Europa hatte.
Die
Verfolgung in der Antike.
Es
gibt noch ein Symptom für die Herkunft des Christentums, wenn
auch ein schwächeres. Es begann im Römerreich, alsbald nach
Christus: dreihundert Jahre massenhafter Tötung und Verfolgung,
wenn auch, nicht ganz selten, unterbrochen durch den einen oder
anderen römischen Kaiser, der ohne besondere Grundsätze
dafür zu haben, schlicht und einfach rational und menschlich
dachte. Im übrigen hatte auch die Verfolgung religiöse
Gründe, wenn auch nur heidnische: unter anderem der Kaiser war
eine Gottheit, gemäß einem Aberglauben aus dem Osten des
Reiches, dem die Römer aus politischen Gründen folgten; der
religiöse Faktor hatte hier sehr unmoralische und unvernünftige
Folgen.
Eine
Zeit der Gemeinsamkeit und
Unklarheit.
Erst
ab 300 n. Chr. war in diesem Falle damit Schluss; der römische
Staat hatte jetzt, statt den Kaiser zum heidnischen Gott zu erheben,
gerade das Christentum zur Staatsreligion und damit zu einer seiner
Stützen gemacht. Wie ging es jetzt im Ganzen weiter, mit drei äußerlich friedlichen Jahrhunderten, was den Umgang mit dem Christentum betraf? Letzteres dehnte sich inzwischen innerhalb des Römerreiches aus. Zunächst bedeutete das unter anderem: die eine oder andere Gruppe, so die von Norden oder Osten einbrechenden Germanen, Ost- und Westgoten, blieben nicht immer orthodox, sondern wurden mindestens zum Teil nur "Arianer", nach Arius: sie akzeptierten nicht die Gottheit Christi. Oder z.B. die sogenannten Thomas-Christen – benannt nach dem Apostel Thomas – lebten nicht innerhalb der Grenzen des Römerreiches, sie lebten als kleine Gruppe im fernen Indien; wer weiß, wohin solche Gruppen sonst noch verschlagen wurden? Aber etwas Grundlegendes änderte sich nicht an der Behandlung der Christen während dieser drei Jahrhunderte: Die
beiden Hälften des Reiches, der Geist der Unklarheit.
Rom
wurde, im Ganzen betrachtet, das, was man damals und noch heute
christlich nennt, wie gesagt. Das galt nun jedenfalls für seine
nördliche Hälfte, mit der südlichen Grenze beginnend
bei der Straße von Gibraltar im Westen bis zum Schwarzen Meer
im Osten; das hieß: für den Bereich Europas, den des
Abendlandes. Galt es nun aber genauso für die Hälfte, die
der Süden des römischen Reiches war? Also für
Nordafrika und für den Orient mit Kleinasien, zusammen mit den
sich südlich und etwa auch noch östlich anschließenden
römischen Gebieten? Wobei wir ja bedenken müssen, dass in diesen Ländern, im Gegensatz zum Norden, neben Arabern und anderen Orientalen nur ganz wenige Kelten und Germanen lebten: hauptsächlich die über Spanien gekommenen, nicht sehr zahlreichen Wandalen, die nach Tunesien weiterzogen und sich von dort, eine Zeitlang, gemeinsam mit den im Norden wohnenden Goten und den übrigen Germanen der völlig freiheitlichen Sammeloberhoheit des Ostgotenkönigs Theoderich, auch Dietrich von Bern genannt, eingliederten. Wie also war es mit dem Christentum in diesen südlichen Gebieten des im übrigen nach und nach vergehenden römischen Reiches? Das Christentum hielt sich auch hier noch aufrecht – von etwa 300 bis 600 n.Chr.; mit einem heiligen Augustin als Mittelpunkt und Brennpunkt, der aber, von manchem Blickwinkel her betrachtet, fragwürdig war. Man kann, bei unverfälschtem Sinn für die Geschichte und die Welt des Geistes, Augustinus´ Welt nicht als die des Abendlandes ansehen und sie mit ihr als gleich behandeln: Die allbeherrschende Stellung nicht des Kampfes zwischen Gut und Böse wie in der faustischen Kultur Europas, sondern der bloßen "Gnade" Gottes, nicht selten mit ihrem "magischen" Entzücken bei Augustinus als dem Hauptinhalt, ist wirklich und wahrhaftig nicht der Ausdruck unseres Geistes und unserer Kultur. So entspricht es auch dem ausgereiften Wissen aller, die hier Einblick haben. Der Jansenismus, streng nach Augustin gedacht, hauptsächlich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts, auf der Basis von Cornelius Jansens Buch über "Augustinus", war die Hauptfrucht dieses Geistes, die ihn genügend kenntlich machte. Nach dieser Lehre, die Jansen von Augustinus in allem Wesentlichen unverändert übernommen hatte, ist der Mensch zur Gänze der Sünde ausgeliefert und ohne irgendeinen eigenen Einfluss auf rettende Erlösung. Gerettet wird einzig und allein, wem Gott nach freier Gnadenwahl seine Gnade gibt, ganz im Sinne der "Prädestination": der "Vorherbestimmung", und zwar einzig und allein durch Gott, ohne Rücksicht auf die menschliche Person, auf die Stärke ihrer Ethik, ihres Willens und auf nicht allein von Gott ausgehende Verdienste. So lautete, im 17. Jahrhundert, bei Paris aus Port Royal Sankt Augustin, getreu vermittelst Jansen, fortentwickelt von Antoine Arnaud – mit starkem Einfluss auf die rückhaltlose Strenge Blaise Pascals: eines der intellektuellen, wenn auch in dieser Sache irregeleiteten Spitzenmänner von Europas Christenheit. Allerdings: Pascal entschied sich auf dem Sterbebett noch gegen das gesamte Elend Augustins; die Päpste Urban VIII., 1642, und Innozenz X., 1653, verurteilten Augustinus´ Lehre. Thomas von Aquin mit seinem nicht in jeder Hinsicht tiefen Denken – hier war Anselm besser – immer aber klaren und vernünftigen Gedankengang trug den Sieg davon. So blieb das Christentum vom Unsinn Augustins verschont, der im tiefsten Grund ein "magischer", "arabischer" Orientale nach Spenglers Sinne war, kein Abendländer, siehe weiter unten. – Und Spengler lernen wir noch kennen. Allerdings Form und Benennung waren auch bei Augustin noch christlich oder ließen sich so verstehen, was auch immer ihre seelischen Tiefen und Grundlagen in Wahrheit waren. Was nämlich waren sie? Sankt Augustin, ein Mensch der orientalischen, der "magischen", "arabischen" Kultur, war ein sinnlicher Mensch gewesen, zwar auch im guten Sinne, wie die Kirche es versteht, aber ebenso im schlechten. Mit dem Letzteren war es zwar eines Tages vorbei; aber wegen des Ersteren wurde Augustinus, nebenbei gesagt, gelobt, bezeichnenderweise in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts! Augustinus´ Wahl nach seiner Bekehrung fiel nicht auf die Ehe, sondern auf den Stand der Ehelosigkeit. Und als Theologe war und ist er auch noch heute, auf den Universitäten und in mancher Inschrift auf den Kirchenbauten, nie etwas anderes als das makellose und gelobte Muster eines nicht nur sinnenfrohen, sondern auch gelehrten Theologen, der von allen Professoren und Studenten, ausnahmslos und ohne sichtlich zu veralten, mit größter theoretischer Ehrfurcht zitiert wird und der natürlich weiterhin die künstlerische Seite zeigt, die bei ihm vor allem zu erwarten war.
Mohammed.
Soweit
nun also die 300 Jahre der schwersten Verfolgung und die weiteren 300
Jahre des geistigen Nebels, der geistlichen Fehlsicht. Um 6OO, als
diese Zeit vorüber war, trat allerdings denn auch, als Frucht
der Dinge, endlich die sogenannte "Wahrheit" selber in
Erscheinung: "Es gibt keinen Gott außer Gott. Und Mohammed
ist der Prophet Gottes" "Lah illacha illa lach. Muhammad
rassuluh lach" hieß es nun im gesamten Süden des
inzwischen vergangenen weströmischen Reiches. Und dass das als
Wahrheit dienen sollte, das war nun also die Wahrheit. Das war nun, zum ersten Mal auch bei nichtjüdischen Orientalen, die reine und unverfälschte Gestalt des Monotheismus! die Fortsetzung, auch nach außen, der "arabischen", der "magischen" Kultur des 1. Jahrtausends n.Chr., mit der jüdischen Vorkultur des Alten Testamentes im Jahrtausend vorher, das, wovon wir vorhin sprachen: Monotheismus ganz ohne göttliche Vielfalt, obwohl es sich mindestens ebenso gut denken ließe, dass das höchste Wesen – wir haben es vorhin angedeutet – nicht vollständig und unbedingt in unfruchtbarer Einsamkeit lebt: sondern wenigstens ebenso gut " erstens als Brahma, zweitens als Vishnu und drittens als Shiva" leben könnte: erstens als "Entstehung" der Welt, zweitens als ihre "Erhaltung" und drittens als ihr "Untergang", nach indischer Weisheit, dem "Trimurti": Göttlicher und liebevoller noch in der innigen Einheit der christlichen "Dreifaltigkeit". Um all das geht es dem Moslem also nicht. Er ist auch ganz ohne den Messias: wozu braucht der Islam Christus, wenn er Mohammed, den Propheten, hat! Und wer die zitierten Worte, "Lah illacha" usw., gläubig ausspricht, ist damit übrigens auch schon ein Moslem. Nur: die Pflicht des Moslems ist denn auch: das Leben im Geist des jetzt allein gesprochenen Bekenntnisses! man hat sein Leben lang dabei zu bleiben – will man nicht, als ungetreuer Moslem, kurzer Hand getötet werden, wenn es besonders krass kommt – sodann gehören zu den Pflichten eines Moslems: die tageszeitlichen Gebete, wenn möglich, auf dem Gebetsteppich; weiter: die vorgeschriebenen Almosen; ebenso der jährliche Fastenmonat "Ramadan". Und für den, der es kann: wenigstens einmal im Leben eine Reise nach Mekka. Vielleicht gehörte auch das eine oder andere Gebot dazu, z.B.: nur vier Frauen! Mehr Enthaltsamkeit war nicht verlangt! Vielleicht sogar noch weniger. Hätte Augustinus das gehört! Passten Augustin und der Prophet zusammen? Letzterer war alles andere als enthaltsam – während Augustinus es, sozusagen als eines der Goldkörner des Christentums wenigstens im langen Lauf der Zeit denn doch noch wurde. Was der Prophet wählte, gehörte zum Inhalt des Korans. Sodann gehört das Alte Testament der Juden mit zur "Schrift", ebenfalls geoffenbart von Allah; auch das Neue Testament der Christen; allerdings, die "Schriften" der Juden und der Christen sind, in mancher Hinsicht, auch was die Richtigkeit und Zuverlässigkeit der Überlieferung betrifft, zum Teil "verdorben" – soweit sie dem Koran widersprechen? – oder sogar "verloren gegangen", sagt der Prophet. Dennoch sind die Juden, die Christen und die Moslems "das Volk der Schrift": ein Begriff mit Vorschriften darüber, wie man dieses "Volk" behandeln soll. Speziell zu Jesus, man ahnt es schon: auch er ist ein Prophet! wenn auch nicht so bedeutend wie Mohammed, und weit davon entfernt, der überflüssige Messias zu sein! Vor allem aber: Jesus ist nicht am Kreuz gestorben, und er ist erst recht nicht Gottes Sohn – es gilt als namenloser Frevel zu behaupten, Allah habe einen Sohn gezeugt! Und die räumliche Ausdehnung der Lehre des Propheten, nach allen seinen Kriegen und seinen Predigten? wenn er selbst vielleicht auch noch nicht überall gewesen war? Es war in etwa die südliche Hälfte des einstigen römischen Reiches, von der Küste des Atlantiks bis nach Kleinasien einschließlich, zusammen vielleicht noch mit dem einen oder andern – und mit Augustinus als ebenso ehemaligem, damals schon nicht mehr gegenwärtigem, aber in den Tiefen unauslöschlichem religiösen und seelischen Mittelpunkt und Brennpunkt. Was im tiefsten Innern der Seele dieser Völker ruhte, lebte dort weiter: es war das, was Spengler, wie schon gesagt, in unseren Zeiten die "arabische", die "magische" Kultur genannt hat, wie wir noch genauer sehen werden. In der Folge ging es dann erst recht über Land und Meer, bis nach Indonesien einschließlich – nicht zu vergessen gleichfalls die Eroberung des westgotischen Reiches in Spanien, ebenfalls durch die Moslems, im Jahre 711 mit vorübergehendem Vorstoß bis Poitiers im damals schon fränkisch gewordenen Südfrankreich! Umgekehrt aber auch wieder der vollständige Verlust des Westgotenreiches seitens der Moslems, allerdings erst nach unendlich langsamer "Reconquista", "Rückeroberung", über acht Jahrhunderte hinweg bis zum Ende des Mittelalters! – einerseits mit großartigem, dann aber auch wieder mit stillem Abschluss.
Die
Sündenvergebung, bei
allen möglichen Protestanten.
Wer
systematisch und historisch gründlich nachzudenken sucht
angesichts alles dessen, was wir jetzt vom Islam ins Auge gefasst
haben, könnte sich fragen: Wie verhält sich das alles zur
christlichen Welt? oder auch: wie verhält es sich zu sich
selbst: den moslemischen, von Spengler als solchen identifizierten:
"Protestanten"? Ist z.B. die Sündenvergebung – um, vom Christlichen, vom Erlösungsgedanken her, aber immerhin auch noch vom Moslemischen her gesehen, etwas besonders Schwerwiegendes ins Auge zu fassen – ist also die Sündenvergebung etwas Leichtes oder Einfaches? vielleicht nicht theoretisch, aber in der Praxis? Jedenfalls hört man außerhalb des Islams nicht allzu viel und kaum etwas Grundsätzliches von einer Sündenvergebung innerhalb seiner, vor allem nicht so, als ob sie, vom Menschen her gesehen, etwas sehr Schweres und fast Unbegreifliches wäre. Das, was man hört, sind eher läppische Dinge wie Sündenvergebung durch Äußerlichkeiten wie die Umkreisung des einen oder anderen äußerlichen Gegenstandes. Das Christentum dagegen ist der Auffassung, der Sohn des Allerhöchsten, er selbst ein Allerhöchster, habe sich geopfert, um Vergebung für die Menschen zu erreichen, bei der die Menschen – zumindest vom katholischen Standpunkt her gesehen – aber gleichfalls mitzuwirken hätten. Also kurz und gut: Spengler, der psychisch in die Tiefen blickte, kommt auf den eindrucksvollen, gleichzeitig eleganten, weil! zutiefst überzeugenden und richtigen Gedanken, der Islam sei im 1. Jahrtausend n.Chr. das, was Luther und überhaupt die gesamte "Reformation" im 2. Jahrtausend bei uns gewesen sei. Nach Spenglers für alle Hochkulturen gleichbleibender Systematik gab es zu jeder der ebenfalls jeweils ungefähr 1000jährigen Hochkulturen, also in unserem Fall: das, was das ganze Alte Testament aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. für die "arabische", "magische" Hochkultur des 1. Jahrtausends n. Chr. war. Was bedeutet das im Einzelnen? Das gesamte 1. Jahrtausend nach Christus ist für Spengler die "arabische", die "magische" Hochkultur, und erst das gesamte 2. Jahrtausend der Bereich unserer, der "faustischen" Hochkultur. Wir sehen, und wir begreifen nach dem dazu vorhin schon Gesagten: unter anderem auch die vorhin besagten Jahrhunderte zwischen dem Jahre O und 6OO n.Chr. gehörten nach Spenglers Beobachtung tiefinnerlich, geistig, psychisch und, liebe Freunde, ganz von innen her gesehen, z.B. auch vom seelischen Kern des augustinischen Christentums her gesehen, wie wir ja schon sagten oder andeuteten, zur arabischen, islamischen Hochkultur; von deren örtlichen Bereichen Nordafrika ein äußerst wesentlicher Teil war. Und was war die "Reformation" bei uns, zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der Sündenvergebung, die für uns faustische: werk- und willenszentrierte Menschen von erstrangiger Bedeutung war? Solange die römisch-katholische Frömmigkeit und Religionsausübung noch ganz oder entscheidend maßgebend war, ließen die Bemühungen um Sündenvergebung – rein theologisch betrachtet, selbstverständlich! – denn auch wenig oder grundsätzlich gar nichts zu wünschen übrig. Das aber änderte sich, sobald Martin Luther kam, einer der beiden abendländischen Hauptreformatoren; achten wir einmal auf eine seiner zentralen Aussagen gerade hierzu: "Sündige kräftig und vertraue noch kräftiger!" Wahrhaftig! eine kräftige Versuchung für jeden versteckten, auch vor sich selbst versteckten Schalk! Wie viele davon gibt es nicht gerade in dem Teilbereich der Wirklichkeit, der uns am besten vertraut ist und zu dem ganz sicher, jedenfalls für uns, die faustischen Menschen, auch der Bereich gehört, in dem wir uns schuldig machten! Und wie ist es bei unserem faustischen "Tat"-Willen mit dem Mann, der in unserer faustischen Kultur unser Mohammed war, nämlich mit Martin Luther – um den klassischesten, den typischesten und lebendigsten unserer "Reformatoren" zu nennen? Er hat ja auch den unmittelbarsten Ausdruck für seine Art der faustischen Sündenvergebung, der Sündenvergebung durch ein "Taten"leben, er prägte das Wort: "Sündige kräftig und vertraue noch kräftiger": "Sündige kräftig", d.h. "Sündige als faustischer Mensch der Tat", nicht als Mensch der "guten Werke"; sei vielmehr ein Mensch der "Geschichte", ein Mensch, der "Geschichte schreibt" oder der mit jemandem zusammenlebt, der eben das tut; und weiter – jetzt konsequent hinzugedacht – : "Gott hat für so etwas Verständnis." Todsicher war, zumindest unter anderem, bei Martin Luther vor allem diese Deutung mitgemeint und mitgedacht. Nur kann man solche pädagogisch höchst riskanten Sprüche, wie er sie hier zugrundelegt und wie hier einer mitgemeint ist, denn nun doch nicht ganz alltäglich werden lassen; deshalb mussten sich die "Reformatoren" und unter ihnen Martin Luther für die massenhaften Fälle, die Fälle der Massen, anders zu helfen wissen. Und wir können nun suchen, soviel wir wollen; wir finden bei jedem Reformator, sei es Luther oder Calvin oder Zwingli oder, um wen auch immer es sich handelt, das gleiche Ergebnis: ob nun in Gestalt ähnlicher Worte, wie die zitierte, seltenere Äußerung von Luther es ist, oder auch, wahrhaftig sehr viel häufiger, einfacher und bequemer: wir finden überhaupt in der gesamten seelsorglichen, gottesdienstlichen Praxis, dieses Mal aller Reformatoren und der gesamten Reformation lauter Erleichterungen der Sündenvergebung: Und sei es zum Beispiel auch in der Handhabung der Beichte, die ja für den, der sich ihr zuwendet, das schwierigste Sakrament ist und die bei den Protestanten zwar nicht ganz, aber weitgehend verschwunden oder verändert ist. Und wir finden vor allem Erleichterungen zugunsten des Ersatzes der Beichte, die von nichtreformatorischer Seite her treu und ehrlich mit Gewissenserforschung, Reue und Besserungsvorsätzen arbeitet, und sodann mit dem Sündenbekenntnis und einem Bußgebet abschließt – gerade hier also finden wir Ersatz in Gestalt aller möglichen oft sehr flüchtigen Bemerkungen und bloßen Zeremonien in Predigten, wenn es hoch kommt, oder viel häufiger noch in Segenssprüchen oder durch ähnliche, vielleicht noch leichtgewichtigere gottesdienstliche Handlungen, wer weiß, wie oft und überwiegend unter Wegfall fast jeder oder überhaupt jeder aktiven Mitwirkung von Seiten der Gemeinden. Soviel also zur Sündenvergebung als einem der Beispiele für unsere Reformation im Abendland: zu ihrer dabei nicht selten ungeheuerlichen Verflachung in der äußeren Praxis, sowie zu ihrer, vielleicht nur implizit, zwar behaupteten Aufrechterhaltung der Innerlichkeit, trotzdem aber gerade in deren Bereich erfolgten täuschenden Oberflächlichkeit, versteckt u.a. im sogenannten "Vertrauen", das man nicht ernst nimmt, weil Äußerlichkeit mit ihrer unwahrhaftigen, unechten, im Innern überhaupt fehlenden Wahrheit und Wirkung für uns Menschen nun einmal in gewissen Fällen ein starkes Übergewicht über Innerlichkeit, Echtheit der Gefühle und Wahrheit hat. Und nun? Was nun? Geht es solchen "Religiösen" gar nicht mehr um Sündenvergebung? soweit sie überhaupt noch religiös sind? Schon! sie biegen und beugen sich das, was ihr Gewissen belastet oder auch nur mehr oder weniger unangenehm beschäftigt, immer noch einigermaßen zurecht, mit irgendwelchen leichter zu ertragenden Ausgleichsleistungen, Umdeutungen, oder auch nur einigermaßen zu ertragenden ersatzweisen Reuegedanken und so weiter, und so fort. Oder aber sie begnügen sich mit bloßer innerer Beschwernis, ohne irgendwie im ethischen Sinne tatsächlich zu handeln oder zu leiden – soweit sie sich nicht überhaupt um gar nichts mehr kümmern und einfach nur tun, was sie wollen. An Hand unseres Protestantismus ist das alles deutlich genug. Letzten Endes aber müsste es auch bei den Protestanten so sein, die sich Moslems nennen. Nur tritt es bei ihnen, wie ich vermute, nicht ganz so deutlich zu Tage, oder ich habe es nicht ganz so deutlich erfaßt; deshalb habe ich soeben versucht, zunächst die mir eher familiäre und die mir vertrautere protestantisch christliche Übung und deren Verflachung vor Augen zu führen.
Die
Sündenvergebung bei den Moslems.
Davon
höchst verschieden, haben wir allerdings aus dem Bereich der
Moslems, als Kontrast für die besonders viel Innerlichkeit
voraussetzende Sündenvergebung und zur Verdeutlichung des
Widerspruchs, sogar die läppische Geschichte von der Umkreisung
des einen oder anderen Steines zwecks Sündenvergebung
wiedergegeben, die im Abendland nicht einmal als bloßer Trost
oder als Schein der Innerlichkeit möglich gewesen wäre,
während z.B. Luthers soeben zitierter Ausspruch "Sündige
kräftig ... " usw. immerhin das noch in sich hat, wenn man
sich wenigstens für dieses Niveau genügend säkularisiert. Was aber ist die eigentliche Erleichterung bei der Sündenvergebung gemäß der Lehre des Propheten? Wer so lebt, wie der Prophet es geboten hat,erstens ganz im Willensbereich des einmal ausgesprochenen Glaubensbekenntnisses: "Lah illacha" usw., zweitens mit lückenlosem Tageszeiten-Beten, drittens mit der Einhaltung des Fasten-Monates – echt orientalisch! – , viertens mit Almosengeben und, "wenn es geht", fünftens mit einer Reise nach Mekka, wer also so lebt, der wird auch immer weniger sündigen – glaubt man vielleicht nicht nur, sondern hält man vielleicht auch für das Einzige, was dem religiös schon einmal heimlich gebrochenen, nämlich protestantisierten Menschen möglich ist. Das dürfte beim Propheten die moralischeste und der Echtheit am nächsten kommende Möglichkeit der Annäherung an eine erleichterte – wenn auch nur unvollkommene, nicht ganz durchgeführte, mehr oder weniger durch Selbsttäuschungen ersetzte – Sündenvergebung sein. Nur, in Sankt Augustinus´ Schriften, die ja, seelisch betrachtet, auch schon nicht eigentlich christlich, sondern in Wahrheit aus dem "magischen", dem "arabischen" Jahrtausend hervorgegangen sind, hört man denn doch nicht selten ein gewisses erleichtertes und vielsagendes Frohlocken, dass nun ja alles von Gott vergeben sei; und sodann sinngemäß: "Das und das wurde ja gleich mitvergeben" – wenn man sich an irgend etwas erinnert, das, genau genommen, der Vergebung erst noch bedurft hätte; vielleicht allerdings lag die Taufe zeitlich später als das zu Vergebende, und dann wäre selbst nach orthodoxer und römisch-katholischer Theologie alles wirklich vergeben und korrekt. Aber das ist es ja gerade! der magischen Seele entspricht die – mit Recht passive – Taufe am besten, viel mehr als die – höchst aktive – Beichte. Insofern also: die Gnade nun gleich auch schon als Sündenvergebung, nicht etwa als Anlass zur Buße und dann erst auf diesem Weg zum wirklichen Erreichen der Sündenvergebung. Ist das alles zu zart und zu schwach? Dann will ich etwas weniger Zartes als Beispiel anführen; oder in einem gewissen Sinne vielleicht auch gerade das Allerzarteste, das sich denken lässt: Man hört in unseren Tagen, höchstwahrscheinlich mit Wurzeln, die weiter zurückliegen als unsere Zeit, von islamischen Terroristen als "Märtyrern": Man braucht sich also nur mit einem Gürtel von Explosivkörpern in die Luft zu sprengen und dabei möglichst viele sogenannte Feinde des Islams mit sich zugleich zu töten, umzubringen, zu massakrieren – es geht so schnell, dass man keinen oder kaum einen Schmerz verspürt – und schon sieht man sich im Paradiese wieder! Gibt es etwas Schnelleres, Erfreulicheres, Leichteres, so "magisch" bequem und so paradiesisch wie hier? Es geht aber auch folgendermaßen: Siehe vorhin im Kapitel "Die beiden Hälften des Reiches und der Geist der Unklarheit" im viertletzten Absatz beginnend mit "Der Jansenismus": Hiernach braucht man auch keine Taufgnade, hiernach genügt ebenfalls Gottes Gnade ganz im allgemeinen Sinne, völlig allein, um den sonst hoffnungslos ins Böse, in Sünde und Schuld verstrickten Menschen, wenn Gott es will, ohne jede Mühe von Seiten des Menschen, in den Zustand sündloser Reinheit zu versetzen: "magische", nicht kämpferische, "faustische" Kultur! Aber wie in concreto? Das hängt von der Gewissenhaftigkeit oder auch von der Willkür und Gewissenlosigkeit dessen ab, der den Fall zu beurteilen hat; und was die Moral dazu sagt, das wissen wir ohne Weiteres. Zusammenfassung.
Zunächst
noch einmal zu den Orten des Christentums! Werfen wir einen Blick auf
beide: dahin, wo das Christentum entstand, in Judäa, und dahin,
wo allein es sich schließlich und eigentlich, im größeren
Umfang entfaltete, in unserem Abendland! Es war bei keiner anderen
Religion so wie hier. Die Verschiedenheiten waren so groß wie
niemals sonst. Und die Frage ist: wer hat es so gewollt? Die
Andeutung, die wir ins Auge fassten, war nicht allzu schwer zu
verstehen: ich meinte, die Entscheidung kam von oben! Zu den verschiedenerlei Örtlichkeiten gehörte außer dem Nahen Osten in einem weiteren Sinne auch Indien. Dem letzteren gilt Schopenhauers Satz: "Das Christentum hat indisches Blut in den Adern." – Wie könnte, den Umständen nach, indisches Blut in die Adern des Christentums gekommen sein? Schopenhauer denkt darüber fast mythisch, an Ägypten als vermittelnde Hochkultur, wohin Joseph "mit dem Kind und seiner Mutter" ja geflohen war. In seiner Eigenschaft als Indien galt uns dann aber das Land im mittleren Osten nur als lokales Symbol für das, was wir über die Gegenstände des Nachdenkens überhaupt gesehen hatten: zum Beispiel über unseren Ursprung, "aus uns selbst"; sodann neben vielem anderen über den Augenblick und die Zeit; letzteres nebenbei in Verbindung mit Kants Ergebnissen über das Wesen der Zeit: als bloßer Form der "Erscheinung", nicht des "Dinges an sich", am Anfang der Vernunftkritik, in der "Transzendentalen Ästhetik". Alles letzten Endes auf dem Weg über die ableitbare Tatsache, dass wir uns selbst geschaffen haben – und so übrigens auch einen freien Willen haben müssen, ihn nur so auch haben können. Was sich unter anderem aus zweierlei ergibt – um jetzt nur diese beiden Einzelpunkte herauszugreifen – nämlich erstens daraus, dass wir verantwortlich sind, woraus wir ebenfalls auf einen freien Willen schließen müssen, und zweitens, dass niemand von uns von einem anderen, dieser wieder von einem anderen, und so weiter ins Unendliche, geschaffen worden sein kann, schon wegen der frustrierenden Art dieser Unendlichkeit nicht; woraus sich ebenfalls ergibt, dass wir von niemand anderem als von uns selbst geschaffen sind. Siehe vorhin im 1. und 2. Kapitel. Und noch einiges gehört dazu! Siehe dieselben Kapitel! Wenn es aber solche Wesen gibt, die sich selber schaffen: die "aus sich selber" sind, dann können sie auch dafür sorgen und sorgen folglich auch dafür, dass es Wesen gibt, die unendlich groß und mächtig sind, nämlich sie selbst – was Descartes gesagt hat – und dass andere Wesen in Gestalt von dessen Stufen letzten Endes zeitlose Entwicklungsstufen sind – was Descartes schon nicht mehr gesagt hat und was ja auch gegen den Glauben seiner Zeit gewesen wäre, was wir aber " mit dem Glauben unserer Zeit" "nachweisen" konnten; wobei der "Glaube" vom "Nachweis" allerdings zu unterscheiden ist. Im übrigen hat Anselm von Canterbury aus dem Aosta-Tal als Erster vom Sein "aus sich selber" geredet, weiter als bis zu Gott ist er dabei aber nicht gegangen – wenn man von Christi menschlicher Natur absieht. Außerdem habe ich den Begriff des "aus sich selber" in der gesamten griechisch-römischen Antike nicht ein einziges Mal gefunden, hier kam man nur bis zur "Bewegung seiner selbst" – um diese interessante und höchstwahrscheinlich alles andere als zufällige Einzelheit ebenfalls zu nennen. Auch Indien kannte übrigens eine göttliche "Dreieinigkeit", "Dreifaltigkeit": das "trimurti" oder eine seiner gedanklichen Vorstufen, vielleicht auch schon die etwaige Einsamkeit eines höchsten Wesens, wenn es monotheistisch ausfiel oder wenn man es sich monotheistisch dachte. Wir hören auch hier wieder Schopenhauer: "Das Christentum hat indisches Blut in den Adern." Judäa war nun zugleich der Ausgangspunkt des Christentums: aus Judäa stammt die Prophezeiung vom Messias. Auch die ersten Christen, vor allem die Hervorragendsten bei ihnen, waren Juden. Die Grundlagen der Lehren des Christentums schrieben Juden. Am Ende aber: nach einem Menschenalter, wandte sich Judäa gegen Christus und das Christentum. Kaum gab es das Christentum, und schon wurde es, wie wir uns erinnern, im gesamten Römerreich, bis 300 n.Chr., vielleicht brutaler als irgendwann verfolgt. Freunde, ohne viele Worte: die Welt als Ganzes neigt dazu, gegen das Christentum eingestellt zu sein, obwohl es, wie man liest, immer noch die zahlreichste aller Religionen ist. Und der Kern für den Grund der Feindschaft: das Schicksal des Messias schließt, stillschweigend, den schwersten Vorwurf gegen die Menschheit in sich. Und dessen Grund nun wieder ist derselbe, der unsere Erlösung durch den Messias notwendig macht. Es folgte, ab 3OO n.Chr., die Ausbreitung des Christentums im Römerreich: in der nördlichen Hälfte, bis zur Linie beginnend mit der Straße von Gibraltar und endend mit Istanbul; und im südlichen Teil des Reiches, von der marokkanischen Atlantikküste bis wenigstens zur heutigen Türkei einschließlich. Wir haben den Unterschied zwischen beiden Auffassungen von dem, was christlich ist, ebenfalls verdeutlicht: Auf der einen Seite, bei St. Augustin, die "Gnade" ganz allein, ohne Kampf zwischen Gut und Böse; das alles identisch mit dem Jansenismus, der Wiedergabe eben dieses Christentums des Augustinus über tausend Jahre später, und dessen jähem Ende, diesmal durch zwei Päpste (siehe oben:), Urban den VIII. 1642 und Innozenz den X. 1653; mit dem Ergebnis, dass das wahre Christentum mit seinem Ort und seinem Geist, der höchsten Spitze der Moral: dem Kampf von Gut und Böse, dem Abendland, gehört. Spengler.
Spenglers
jetzt folgender Text ist für das Verständnis des gesamten
Zusammenhanges von Bedeutung: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Zweiter Band: Welthistorische Perspektiven. Drittes Kapitel: Probleme der arabischen Kultur. III. Pythagoras, Mohammed, Cromwell: Seite 933. Verlag C. H. Beck München. Spengler schreibt a.a.O.:: vom Judentum des Alten Testamentes und dem im Morgenland herrschenden Christentum des Augustinus.Das wenige, was von jenem Heidentum in den Koran eindrang, ist durch den Kommentar der Sunna und ihren syrisch-mesopotamischen Geist später forterklärt worden. Der Islam ist eine neue Religion fast nur in dem Sinne, wie das Luthertum eine solche war: wie das Luthertum nämlich eine bloße Reformation gewesen ist. In Wirklichkeit setzt er: der Islam, die großen Frühreligionen fort: das Judentum im Alten Testament, den Mazdaismus und das Christentum des Augustinus im vorhin gezeigten Sinne, von dem Spengler das Christentum der nördlichen Hälfte des römischen Reiches stillschweigend unterscheidet und das im Orient zumindest dem Begriff nach in kleinen Gruppen bis auf unsere Tage fortbesteht. Und ebensowenig ist seine Ausbreitung, die des Islams, wie immer noch geglaubt wird, eine Völkerwanderung, die von der arabischen Halbinsel ausgeht, sondern vielmehr ein Ansturm begeisterter Bekenner, der lawinengleich die sogenannten Christen, die Juden, Mazdaisten mit sich reißt und als fanatische Moslime alsbald an der Spitze führt. Es waren Berber aus der Heimat Augustins, die Spanien eroberten: was Augustins tatsächliche und tiefinnerste Überzeugung und Urbedeutung, siehe vorhin, richtig wiedergibt, und Perser aus dem Irak, die zum Oxus vordrangen. Die Feinde von gestern wurden die Vorkämpfer von morgen. Die meisten "Araber", die 717 zum ersten Male Byzanz angriffen, sind als Christen geboren worden. Um 650 erlischt mit einem Schlage die byzantinische Literatur, (Krumbacher, Byzant. Literaturgesch., S.12) ohne dass der tiefere Sinn davon bis jetzt bemerkt worden wäre: diese Literatur setzt sich in der arabischen fort; die Seele der magischen Kultur: die vorher nur im augustinischen Christentum mehr als unvollkommen vorgebildet war, fand endlich im Islam ihren wahren Ausdruck. Damit ist diese Kultur wirklich "arabisch": oder "magisch"nach einem anderen Ausdruck Spenglers, und endgültig von der Pseudomorphose: der nicht passenden Form,der es unterlag, erlöst worden. Der vom Islam geführte, von Monophysiten und Juden längst vorbereitete Bildersturm fährt auch über Byzanz hin, wo der Syrer Leo III. (717-41) diese puritanische Bewegung islamisch-christlicher Sekten, der Paulikianer (um 650) und späteren Bogomilen, zur Herrschaft brachte.
Schlussfolgerung,
Ergebnis.
Aus
alledem, von Anfang an bis hierher, ergeben sich zwei wesentliche
Dinge: Erstens: das Christentum ist uns heutzutage, nach Spenglers philosophischer Geschichte, dem damaligen Ort nach fremd; ganz sicher aber ist unser Christentum von heute auch den Rassen, den Völkern, seines Ursprungsortes heutzutage fremd; denn eben diese Völker blieben ihm nicht treu – sie griffen nach anderen Religionen, von kleinen Gruppen abgesehen, die aber ihrerseits nach einem Christentum mit einem anderen Geist gegriffen haben. Dagegen sind unsere jetzigen, gegenwärtigen Völker in Europa, selbst soweit ein Teil von ihnen in großer Anzahl aus den Kirchen ausgetreten ist und dies vielleicht sogar in wachsender Zahl auch weiter tut, sie alle also sind, soweit sie nicht zutiefst unchristlich waren, zumindest dem Geist nach, ihrer menschlichen Gesinnung nach, der Kultur und selbst der Wissenschaft nach, selbst schon durch ihr Interesse an den Kirchenbauten, dem Christentum unserer Prägung treu geblieben und denken auch, bewusst oder nicht, es weiterhin zu sein – ganz abgesehen davon, dass viele Einzelne den Kirchenbesuch unverändert weiter pflegen; und, von wenigen Einzelnen abgesehen, nicht daran denken, sich irgendeiner fremden und ihrem eigenen Inneren widersprechenden Gottesdienstgemeinschaft anzuschließen. Ganz sicher auch ist es so, dass die Gestalt des Nazareners, seine unfassbare Größe, mit der er selbst das Allerschwerste auf sich nahm, um uns mit seinem "Vater" wieder zu versöhnen – selbst soweit wir nicht so ganz und auch nicht theoretisch an ihn glauben sollten – vielleicht also ist es so, dass diese Gestalt uns dennoch, ethisch und moralisch, am meisten überzeugt und dass wir in ihr das eigentliche Wesen des Moralischen, des Ethischen und unserer nach und nach und schwer erworbenen abendländischen Menschlichkeit erkennen. Hat der Allerhöchste es so gefügt, dass die Religion, die einen Augenblick bei einigen Juden – sie waren ja ursprünglich die Verkünder! – dass die Religion bei ihnen oder anderen verweilte, damit sie schließlich zu uns kämen, um mit uns zusammen eine Weltkultur auch über unsere Welt hinaus zu schaffen? Doch ich soll nicht schwärmen! Oder sollen die es tun, die es bisher noch niemals konnten und auf die nur Narren ihre Hoffnung setzen? – wie die zerstörerische Macht es will, die schon dabei ist, alles zu vernichten? Europa ist der Ort des Christentums und der Kultur, und nicht die Oberschicht der USA – wohlgemerkt: nicht deren Oberschicht! Und zweitens: wir haben bei unseren weiteren Gedankengängen klar gesehen – ohne dass wir dicke Bände schrieben und darüber unsere Pflicht vergaßen – wir haben also klar gesehen: Das Christentum hat von allen Religionen das Beste, das sie hatten: vom Judentum vor allem den Messias, und seine Ethik, die höchste, die sich denken lässt! Und von den Hindus hat das Christentum vor allem das "trimurti": die "Dreifaltigkeit", wenn auch nicht nach ihrer alten Art – der Weltentstehung, der Welterhaltung und des Untergangs der Welt – dann aber in der Weisheit und Erkenntnis, dass auch Allerhöchste nicht in Einsamkeit und ohne Liebe leben und zutiefst und schlechthin eins sein können.
Hans Rochol im Januar 2016. © www.rochol.net, September 2003. |