ZUR WILLENSFREIHEIT III.



Fortsetzung zu Nr.II.

ZUR KLÄRUNG DES VERHÄLTNISSES ZWISCHEN NR. I UND NR. II
ZUR WILLENSFREIHEIT.
Mit einer befreienden Nutzanwendung.







1.) Wiederholung und Vertiefung.




(1) Wer die Nummern I und II „Zur Willensfreiheit“ durchdacht hat und zugleich Sinn für Ordnung hat, müsste eine klärende Feststellung zu der Rolle vermissen, die der Begriff des „Motivs“ oder „Beweggrundes“ aus der Nr. I in den grundlegenderen Ausführungen der Nr. II spielen würde. Holen wir diese Feststellung jetzt nach, beginnend mit einer gewissen Wiederholung als Einführung und zur Vertiefung, wenn auch selbstverständlich ohne dabei die Begründung für die einzelnen Gedanken aus den beiden Nummern jedes Mal vollständig zu wiederholen.

(2) Es ist klar, das „Sein aus sich selber“ spielt bei allen methodischen Gedankengängen über die Willensfreiheit die grundlegende Rolle; das ist etwa so klar wie die Antwort auf die Frage, welches Sein vermutlich am ehesten selbstständig und so denn auch frei sein würde, ein Sein „aus sich selber“ oder eines „aus anderem“. Das „aus sich Selber“ ist im grundlegenden Bereich sogar der einzig mögliche Freiheitsbegriff, weil alles, was „aus anderem“ hervorgeht, eben abhängig, determiniert, unfrei ist.
      Und dieses „aus sich selber“ Seiende oder Werdende hat sich nun (im Vorhergehenden, auf dieser Netzseite) unter anderem als „Ursache“ im weiteren, uneigentlichen Sinne erwiesen; nämlich als „Ursache“, die mit ihrer „Wirkung“, oder auch als „Wirkung“, die mit ihrer „Ursache“, identisch ist, im strengen Sinne, in jeder Hinsicht identisch, numerisch identisch – um einen Fachausdruck, einen terminus technicus zu verwenden. Aus diesem Grunde also handelte es sich bei dem „aus sich Selber“ nur im weiteren Sinne (nur sensu laxiori) um „Ursache“ und „Wirkung“, da die beiden Letzteren, wenn man sie im strengen, eigentlichen Sinne versteht, voneinander getrennt, numerisch verschieden sein müssen.
       Diese und ähnliche Dinge ergeben sich sämtlich geradezu von selbst, als pure, bare Selbstverständlichkeit – sobald man nur erst auf die Zusammenhänge aufmerksam geworden ist; eine solche Aufmerksamkeit scheint aber alles andere als leicht zu sein, da es bisher nur selten und zum großen Teil gar nicht zu ihr gekommen ist.
      Ebenso ist es mit folgenden Tatsachen:
       aa) unser Wille ist ausschließlich dynamischer und subjektiver Natur – oder ist er eines von beidem etwa nicht? –
       bb) seine Subjektivität muss ebenso selbstverständlich von der gleichfalls subjektiven Natur des vielbeschrieenen, fast allein beschrieenen „Bewusstseins“ grundverschieden sein;
       und cc) es kann sich bei der Subjektivität des Willens
       erstens zu aa) um nichts anderes handeln als um eine Implikation ausschließlicher Dynamik, reiner Energie – wir wissen doch, was „Wille“ ist! – ; so dass es sich also, da ein Sein „aus anderem“ niemals reine Energie ist, sondern immer auch Passivität in sich schließt, bei der Subjektivität des Willens um das besagte dynamische „aus sich Selber“ handeln muss;
      und zweitens kann es sich demnach bei der Subjektivität des Willens, der reinen Energie, die sich ja schon als solche mit dem Seienden deckt, nur um die Subjektivität des Seins handeln, also auch aus diesem Grund nur um „Sein aus sich selber“, im Gegensatz zur intellektuellen Subjektivität des bloßen Bewusstseins, die eine bloße Vorstellung, ein bloßes Gedankenbild „aus uns selber“ ist.
       So dass also der Wille als „dynamisches aus sich selber Seiendes oder Werdendes“ geradezu auch schon definiert ist; das heißt, er ist als solches, sämtliche organischen und anorganischen Einzelwesen umfassend, mit dem ausschließlich aus Energie bestehenden, demnach dynamischen, absolut nicht passivischen, sondern rein aktiven, also „aus sich selber seienden“ und folglich nichtdeterminierten Weltganzen identisch; oder genauer: er macht seine eigentliche Substanz aus.
      Und daher denn auch, zumindest bei uns erkennenden Wesen mit unserer Kombination von intellektueller und willentlicher Subjektivität, das sichere und unausrottbare Gefühl, dass wir moralisch, ethisch verantwortlich sind.

(3) Oder determiniert uns etwa Gott, denn er soll uns ja durch Wirkursache geschaffen haben; und es sind nur die Opfer der heute herrschenden Verbildung, die vermeinen, in der Philosophie gebe es keine unbestrittenen Gleichungen, so wie z.B. die zwischen Wirkursache und Determination. Antwort: aus der Gleichung „Willenssubjektivität = aus sich Selber“ ergibt sich sowohl das Dasein Gottes, wie anderswo gezeigt (z.B. im Anhang zu Nr. II, über Kreationismus und Intelligent Design), als auch die Tatsache, dass Gott uns nicht determiniert – dass er uns also nicht durch Wirkursache geschaffen hat.
       Oder determiniert uns die Natur? Antwort – ganz abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall für unser Verhältnis zur Natur dasselbe gelten muss wie für unser Verhältnis zu Gott – Antwort also: die Natur sind wir selber, jeder einzelne von uns Menschen für sich ist seine eigene Natur, jedes einzelne der übrigen Weltwesen ist es ebenso gut für sich, und sie und wir sind es alle zusammen, in einem mehr oder weniger harmonischen oder katastrophalen Verhältnis zueinander. Kurz und gut: meine Natur bin ich selber, und so weiter für jeden anderen und für jedes andere. Alle diese Wesen untereinander determinieren sich erstens nicht gegenseitig; oder determiniert mich mein Nachbar oder Nachbars Hund? Ich meine – denn darum geht es ja – nehmen sie mir den freien Willen? Die gute „Mutter Natur“, die zu sein wir uns selber bequemen müssen, spricht also erstens schon einmal insofern nicht gegen unseren freien Willen. Und zweitens kann man sich auch nicht selber determinieren; mit anderen Worten: tritt nichts oder niemand als Determinante hinzu – und soweit das der Fall ist, können wir nicht mehr von Selbstdetermination sprechen – so fehlt es bei der Selbstdetermination an der Passivität, die zur Aufhebung des freien Willens gehört. Das heißt: denken wir zeitlich, so können wir unsere Entscheidung jederzeit ändern, denken wir aber an den „stillstehenden Augenblick der Ewigkeit“ (an deren „nunc stans“), so bleiben wir – im Augenblick der Ewigkeit! – die „ewig“ Aktiven; und sind also in keinem der beiden Fälle determiniert. Was man durch sich selber eben nicht sein kann.

(4) Oder können wir es eben doch, da zwar niemand uns determiniert, da wir aber dennoch die Naturgesetze in uns und um uns herum durchaus als zwingend, als Tatsache erleben? Können wir es vielleicht in dem tragikomischen Sinne, dass wir etwa die Naturgesetze, die einzige Quelle der Determination, durch unsere Art, die Dinge aufzufassen, selber in die Natur hineinlegten, also in uns selber und in die ganze übrige Welt, wo sie „an sich“ nicht sind? In diesem Sinne etwa sprechen Kant und Schopenhauer von „Erscheinung“ oder „Vorstellung“, im Gegensatz zum „Ding an sich“, dem unsere Lebensträume von einem determinierten Kosmos dann nicht eigen wären? Was würde das bedeuten? Es würde bedeuten, dass wir unser gesamtes empirisches Dasein, von der Wiege bis zur Bahre, alles das, was wir durch unsere fünf Sinne und unseren Verstand in Raum, Zeit und Kausalität erleben, Geburt, Tod und alles, was dazwischen liegt, die gesamten Naturgesetze, einschließlich ihres Kräftemessens und Kräfteausgleichs, als in sich stimmigen Kosmos, nach und nach im Laufe unseres Lebens als ein einziges zusammenhängendes Ganzes, mit aufeinander abgestimmten naturgesetzlichen Wirkungen, für uns selber schüfen. Das hieße, dass wir aus dem gesamten Stoff des „aus sich Selber“, des „aus uns Selber“, mit Wirkung für uns und mit Hilfe unserer Auffassungsweise ein Dasein ausschließlich mit dem besagten Inhalt auswählten. Mit der Folge, dass dieses Dasein dann eben auch nur von unserem Standpunkt aus so beschaffen wäre, wie wir meinen – da wir ja in Wirklichkeit eine viel umfassendere und selbstverständlich immer noch auf uns einwirkende Welt um uns hätten. Im Übrigen hätte das durchaus nicht die Konsequenz, dass wir nach dem Ablauf eines Lebensfilms etwa nicht noch einmal dasselbe oder etwas Ähnliches oder auch etwas ganz anderes wählen könnten. Und was würde das alles insgesamt zunächst bedeuten? Wir hätten auch hier wieder eine einzige intensive Aktivität, die Schaffung unseres Diesseits, unseres Lebens in dieser Welt, als Ausfluss, als eine der Betätigungen unseres ohnehin schon zugrunde liegenden Seins „aus uns Selber“; und es handelte sich damit ebenfalls wieder um nichts anderes als um eine Art der Ausübung eben dieses „aus uns Selber“, das unserer Natur als unaufhebbare, schöpferische Freiheit zugrunde liegt.
       Selbstverständlich müssen wir uns fragen, ob es nicht tatsächlich auch so ist. Warum müssen wir das? Wie gesagt, wir müssen es deshalb, weil unsere Erlebnisse von Raum, Zeit, Kausalität und den übrigen, spezielleren Naturgesetzen eine Tatsache sind, einschließlich der Naturgesetze unseres eigenen Organismus, einschließlich der Farben; und einschließlich der Formen, letzterer wegen des schon genannten Raumes. Und wir erleben alle diese Gesetze, wie bereits angedeutet, im Übrigen in perfekter Übereinstimmung miteinander, ohne Widerspruch untereinander und damit als einen in sich stimmigen Kosmos. Nun gut, dann sind wir eben determiniert, ausweislich der Naturgesetze! Aber das sind wir eben nicht, wir haben es schon verdeutlicht: wir sind vom Nachbarn ebenso wenig determiniert wie von Nachbars Hund oder von irgendeinem anderen Weltwesen, sei es der Erdboden, eine Pflanze, ein Gestirn oder sonst was. Sie nehmen uns ja nicht den freien Willen. Wir sind auch nicht von Gott determiniert, wegen der Subjektivität unseres Willens, mit anderen Worten: wegen dessen „aus sich Selber“, wonach wir also insofern auch nicht „aus Gott“, also nicht „aus anderem“, also nicht determiniert sind. Und wir sind es auch nicht vom Rest der Natur, der guten oder auch gar nicht so guten „Mutter“, denn dieser Rest, der übrigbleibt, sind wir selbst; und uns selbst können wir nicht determinieren, wir haben es gerade begründet. Das alles genügt schon voll und ganz.
       Aber auch das ständige und unausrottbare innere Erlebnis unserer ethischen Verantwortlichkeit und so den auch der Subjektivität unseres Willens, seines „aus sich Selber“ und damit seiner Freiheit, werden wir nicht los. Es nützt auch nichts, das Erlebnis, als bloßes „Gefühl“, mit moralistischem Hochmut als „Selbsttäuschung“ abzutun, zu „enttarnen“, zu „entlarven“; denn gegen das Gefühl ist nur unter der Bedingung etwas einzuwenden, dass die Ratio auf der Gegenseite steht; das aber ist jetzt gerade nicht der Fall – denn gerade die Ratio sagt uns, dass wir weder von anderen Weltwesen, von Nachbars Hund usw., noch von uns selbst determiniert sein können.
       Oder schlimmer noch, es ist in einem anderen Sinne gerade doch der Fall, spitzen wir es ruhig so zu: der Moralismus ist das Gefühl, und die Ratio, die Vernunft spricht gegen dieses Gefühl; in diesem Fall ist also die Ratio auf der anderen Seite, und alle modernen Menschen müssten ihr in die Arme fliegen. Aber wer unbedingt deterministisch denken will, soll ruhig bei dem höchst gefühlvollen Moralismus der „Enttarnung“ und „Entlarvung“ der „Selbsttäuschung“ anderer bleiben, jeder soll das haben, was er verdient! Leibniz sagt einmal in seiner „Theodicée“ oder in seinen „Nouveaux essais sur l´ entendement humain“, seinen „Neuen Versuchen über den menschlichen Verstand“, „dass die Menschen sich irren wollen“ „que les hommes veulent se tromper“. Gegen diese Art des Wollens aber werde ich, durch und durch grundsätzlich, keinen kleinen Finger rühren. Und schließlich kommt auch die alltägliche, unumgängliche und unausweichliche private, geschäftliche und juristische Praxis der menschlichen Gemeinschaft um unsere Verantwortlichkeit nicht herum; und so denn auch nicht um unsere Freiheit. Freunde: die mit blödelnder Ehrfurcht verpönte „abstrakte“, „hohe“ Theorie und Philosophie ist gegen den Determinismus! Und Praxis und Gemeinschaft? Sind es ebenfalls! – Allerdings bei gewissen todschickgebildeten Deterministen, nicht hochgebildeten, gibt es aparte, uns über den Alltag hinweghebende Konstrukte mit „Als ob“: man soll die juristische, geschäftliche Praxis der Verantwortlichkeit aufrechterhalten – man muss es nämlich schon – „als ob“ der Mensch frei wäre; aber damit kann niemand etwas anfangen: sollen wir Menschen bestrafen, und das immer und immer wieder, geradezu institutionell, die wir nicht für frei und deshalb nicht für verantwortlich halten? Es handelt sich bei dieser schicken Idiotie um eine Strafe dafür, dass man trotz mäßigen Intellektes intellektuellen Hochmut entwickelt hat. Warum ist es eine schicke Idiotie? Weil sie überaus künstlich ist und weil man nichts mit ihr anfangen kann.

(5) Also, wir erleben das uns und alles Übrige umspannende Netz der determinierenden Naturgesetze als Tatsache und sind dennoch frei.
       Ergo sind die Gesetze wirklich nur unsere Sichtweise, nur „Erscheinung“ oder „Vorstellung“. Die einzelnen Gesetze stimmen im Übrigen, wie schon gesagt, trotzdem miteinander überein: wir haben sie von vornherein in ihrer Gesamtheit, mit aufeinander abgestimmten naturgesetzlichen Wirkungen, einschließlich ihres gegenseitigen Kräftemessens und Kräfteausgleichs, als in sich stimmigen Kosmos aus der Gesamtheit der Möglichkeiten ausgewählt, die uns wirklich und in Wahrheit, die uns „an sich“ umgeben. Und im Gegensatz zu alledem macht unser Wille, unser „aus uns Selber“, sowie das der übrigen Weltwesen die Gesamtheit aus, die „Dinge an sich“, so wie es weitgehend schon Kant und Schopenhauer aufgefasst haben. Vor allem aber: das Ergebnis ist, dass die von uns selbst geschaffenen, von uns selbst in die Natur hineingesehenen Naturgesetze, die einzelne Stoffe aus dem Ganzen auswählen, unsere Freiheit nicht beeinträchtigen können.
       Wir suchen größere Plausibilität für eine solche Erklärung? Dazu zunächst einmal: wir haben unseren zwingenden Schluss: „Von niemandem determiniert und dennoch unter Naturgesetzen stehend. Ergo!“. Wir könnten damit zufrieden sein. Wir haben das „Dass“, das Ergebnis. Die Kenntnis des „Wie“, des Weges, ist nicht unbedingt notwendig. Wir haben aber auch hierin einen gewissen Einblick und sollten deshalb auch dieses Licht nicht übergehen:
       Wir kennen den uralten Gedanken von der „Erhabenheit über Raum und Zeit“; und bedenken wir jetzt einmal genau, was er besagt! Er bedeutet nämlich nicht bloße seelische, moralische Erhabenheit, sondern physische Erhabenheit sowohl im engen und eigentlichen wie auch im weiteren und weitesten physischen Sinne. Sollte es nun aber wirklich Wesen geben, die in diesem Sinne zum Beispiel über die „Zeit“ „erhaben“ sind, so könnten sie das nur, wenn die zeitliche Betrachtungsweise, die uns eigen ist, auf uns oder jedenfalls auf einen Teil der Weltwesen beschränkt ist, mit anderen Worten: Die Zeit kann dann, schon aus diesem Grund, nur unsere Betrachtungs- und Erlebnisweise sein, aber keine Eigenschaft der Welt und des Seienden „an sich“ – in dem dann eben jene anderen oder jenes andere, über die Zeit erhabene Wesen leben würde. Dass es sich wirklich so verhält, ist unter allen Umständen möglich und wird auch nie zu widerlegen sein. Im Gegenteil, es lässt sich unter anderem mit dem „aus sich selber Sein“ sogar begründen, das eben „selber“ bestimmt, bis zu welcher Höhe es sich erhebt. Außerdem hat Kant die Zeitlosigkeit des „Dinges an sich“ nach weit verbreiteter Auffassung in der „Transzendentalen Ästhetik“ am Anfang der „Kritik der reinen Vernunft“ ausreichend begründet. Im Übrigen ist der gerade gezogene Schluss von der etwaigen wirklichen Erhabenheit irgendeines Wesens, z.B. Gottes, über die Zeit ebenfalls ein Gedanke Kants; was zwar nicht jeder Medien-„Philosoph“ weiß, was aber jeder weiß, der die Hauptschriften Kants ordentlich gelesen hat. – Bedienen wir uns also des uralten Gedankens, von der Erhabenheit über die Zeit in der Schicht des „Dinges an sich“, um angesichts eines auf jeden Fall zwingenden und stringenten Ergebnisses – „Von niemandem determiniert und dennoch unter Gesetzen stehend. Ergo!“ – auch zur Beleuchtung des Weges zu diesem Ergebnis einen Vorschlag zu machen. Er sieht so aus:
      In den tiefsten Tiefen sind auch wir über die Zeit erhaben. Auch unsere Willensakte unterliegen in Wirklichkeit, als „Dinge an sich“, nicht der Kategorie der Zeit; auch sie sind unter diesem Aspekt nicht sukzessiv; sondern sie gehören alle, samt und sonders in völliger Einheit, dem zeitlosen, nicht nur sukzessiv erlebbaren, sondern „ewigen“ Willensentschluss an, dem zeitlosen, „ewigen“ „dynamischen aus sich Selber“, der zeitlosen, „ewigen“ puren Energie, in der wir bestehen, die wir sind. Diese Einheit, die wie jede Einheit mehr ist als bloße Zusammengehörigkeit, erklärt als Mindestes die Zusammengehörigkeit unserer in der Zeit als sukzessiv, also nicht mehr ganz einheitlich erscheinenden Willensakte; die Zusammengehörigkeit erklärt ihrerseits den Eindruck der besagten Notwendigkeit, indem um der Zusammengehörigkeit in der „Erscheinung“ willen – und um der Einheit im „Ding an sich“ willen – jeder der als sukzessiv erscheinenden Willensakte gesetzt werden muss und nicht mehr unterlassen werden kann, sobald einer von ihnen gesetzt ist. Da dem zeitlosen Willensakt um der Einheit in der Zeitlosigkeit willen zugleich eine gewisse Homogenität eigen ist, erklärt sich damit auch die Unabänderlichkeit des Charakters, die für jeden reifen, erfahrenen und realistisch denkenden Menschen eine Selbstverständlichkeit ist – so verpönt der Gedanke für verbildete Personen auch sein mag, die ihre angelernten und aufgeschwätzten Illusionen für wichtiger halten als die Wirklichkeit und als alte Menschheitserfahrungen. Und wir können uns schließlich für die Erklärung der Kausalität, der Ursächlichkeit in uns und um uns herum jetzt mit dem kurzen Hinweis begnügen, dass auch die Notwendigkeit dieser Ursachen nichts anderes ist als die Zusammengehörigkeit des „an sich“ Sukzessionslosen und absolut Einheitlichen in der Sukzession der „Erscheinung“.

(6) Also kein Widerspruch zwischen den beiden Tatsachen! Nämlich zwischen der Notwendigkeit der Naturgesetze und der auf der Hand liegenden Tatsache, dass andere Weltwesen einschließlich der anorganischen uns nicht determinieren, mit anderen Worten: uns nicht unseren freien Willen nehmen; dass wir selber, wie wir gezeigt haben, es erst recht nicht tun, dass eben jeder für sich seine eigene Natur ist; und dass im Übrigen auch Gott uns nicht determiniert, wegen des „aus uns Selber“ unseres Willens. So dass also weder Gott noch die Natur uns unseren freien Willen nehmen. Der besagte Widerspruch verschwindet mit der Einsicht, dass die Notwendigkeit in der naturgesetzlichen Sukzession nichts anderes ist als die unvollkommene „Erscheinung“ der Einheit aus der sukzessionslosen Zeitlosigkeit; dass die Notwendigkeit also aus uns selbst hervorgegangen ist, indem wir als zeitliche Wesen existieren, und dass sie uns infolgedessen nicht determiniert. Soviel zur Möglichkeit der Plausibilität des Weges zu dem soeben festgestellten jedenfalls stringenten Ergebnis, wonach die Naturgesetze als bloße Eigentümlichkeit unserer Sichtweise, als bloße Ausflüsse der Zeitlichkeit unseres Denkens, unsere Willensfreiheit in Wirklichkeit weder aufheben noch mindern.
      Es ergibt sich unsere Nichtdeterminiertheit: die Freiheit der Wahl der Naturgesetze durch uns selbst; eine Tatsache, aus der unter Nr. II „Zur Willensfreiheit“ die Echtheit unseres Gewissens hergeleitet wird, da es nun keinen Grund mehr gibt, die allgemein menschliche Stimme des Gewissens penetrant moralistisch als „Selbsttäuschung“ zu „entlarven“ oder zu „enttarnen“, statt sie als eindrucksvolle, nicht zu löschende Realität in unserem Innern zur Kenntnis zu nehmen. Ich verweise für die restliche Steuerung unserer Natur, für einen etwaigen vollwertigen Bewusstseinsersatz und zum Beispiel für das einst mögliche, jetzt aber vielleicht vergessene vorgeburtliche Bewusstsein auf Nr. II, ich sagte ja schon, wir haben hier in Nr. III einen begrenzten Zweck und begründen deshalb nicht alles noch einmal; und ich erinnere infolgedessen darüber hinaus jetzt nur noch an die Schlussfolgerung – für die das Gewissen als Symptom allein schon ausreicht – dass wir nämlich trotz der Naturgesetze nicht nur frei, weil „aus uns selber“ sind, sondern dass wir für alles, was wir sind und infolgedessen tun, ohne Einschränkung auch verantwortlich sind.

2.) Die Rolle des Motivs aus Nr. I in Nr. II.


(7) Soweit der gemeinsame begriffliche Grundstock unter den Nr. I und II „Zur Willensfreiheit“. Welche Rolle spielt nun der Begriff des „Motivs“ oder „Beweggrundes“ in diesem einheitlichen System? Denn darum ging es ja bei unserer anfänglichen Frage.

(8) Lorkovic hatte (siehe Nr. I im 20. Absatz) von einer „direkten elektrischen Reizung der Hirnoberfläche“ bei Gelegenheit einer Operation gesprochen; die Patienten spürten den Reiz nicht, man hatte ihnen nicht gesagt, wann man ihn auslösen wolle, und sie wussten von ihm auch sonst nichts. Der Reiz löste seinerseits jeweils eine Handbewegung aus; und die Patienten gaben als „Grund“ der Bewegung an, „sie sei gewollt gewesen“. Lorkovicens Zusammenfassung: das „Urhebererlebnis“, mit anderen Worten Wille und Bewusstsein bei der Handbewegung, seien „mit der ersten Ursache“ eben dieser „willentlichen Bewegung“, nämlich mit der „direkten Reizung der Hirnoberfläche“, „nicht identisch“; und seine Schlussfolgerung: das „Urhebererlebnis“ sei determiniert und die „Überzeugung, der eigene Wille sei der Urheber“ der „Aktion“, sei „damit als Selbsttäuschung enttarnt“. Was ist nun die Rolle des „Motivs“ in Nr. I bei der Widerlegung dieses Gedankenganges?

(9) Vorweg: jeder bewusste Willensakt hat ein Motiv im strengen und eigentlichen Sinne, der Satz ist unbestritten.
       Sodann: im vorliegenden Fall kann das Motiv ein Bedürfnis gewesen sein, die Hand zu bewegen, als ein Gefühl in der Hand oder auch als ein diffuseres Gefühl des ganzen Menschen, in beiden Fällen ausgelöst durch den für den Patienten unbewussten Eingriff des Arztes, nämlich durch die besagte „direkte Reizung“. Und: wir haben uns (in Absatz 24 unter Nr. I) klargemacht – ohne sofort ganz in die Tiefe zu gehen wie in Nr. II – dass ein Motiv unter keinen Umständen ein Grund ist, auf die Determiniertheit des Willensaktes zu schließen.
       Dennoch scheint die Konsequenz zu sein, dass andere Menschen, außerhalb von uns, bestimmen, was wir wollen. Zum Beispiel: jemand bittet mich um eine Leistung, den Bau eines Hauses, und bietet eine Gegenleistung an, das heißt, er setzt das Motiv. Ich nehme das Angebot an, d.h. die „willentliche Bewegung“ folgt auf das Motiv; dadurch wird im Übrigen dessen stringente, zwingende Wirkung bewiesen, aber das machen wir gleich, in aller Kürze und in all seiner Relativität, noch einmal klar. Ist mein Wille nun nicht frei? Bin ich nun unfrei? Nein: weder deshalb, weil das Motiv meine Reaktion determiniert – das tut es aber nur, wenn man von einer Welt von Voraussetzungen absieht – noch deshalb, weil es ein anderer ist als ich, der das Motiv gesetzt hat. Denn wäre ich nicht der, der ich bin, so und so, und nicht anders beschaffen, und zwar „aus mir selber“ und deshalb in aller Freiheit (siehe, wenn nötig, hier unter „Wiederholung und Vertiefung“ oder in den Verweisungen in Absatz 25 unter Nr. I), so wäre ich nicht dieser ganz bestimmte Bauunternehmer geworden, mit den und den besonderen Möglichkeiten, speziellen Kenntnissen, Anlagen und Fähigkeiten; das alles allerdings nur angesichts der äußeren Umstände, die aber mit zu meinen besonderen Herausforderungen und Aufgaben gehören, die ich wiederum nach Maßgabe meines „aus mir Selber“ meistere oder auch nicht; usw. usf. Und so hätte ich das Angebot – auf Grund der Freiheit, die im Sein, und nicht im Handeln liegt, die im „aus sich Selber“, und nicht in dem liegt, was ich aus mir gemacht habe – nicht angenommen. Nur weil ich freiwillig, „aus mir selber“, der bin, der ich bin, ergibt sich, erst auf dieser Grundlage und unter dieser Voraussetzung, meine Reaktion, die ich auf dem Weg über diese Voraussetzung mittelbar selber festgelegt habe; und wenn man alles das, wodurch ich zu dieser Festlegung gekommen bin – in Gestalt des Seins, aus dem das Handeln erst hervorgeht – wenn man also alles das sozusagen ein- oder ausklammert und von ihm absieht, reagiere ich nunmehr mit zwingender Konsequenz auf diese gesamte fertige, wenn auch nicht unbewegliche Welt, meine eigene Natur und/oder die meiner Umgebung. Zu denen beiden auch die Motive gehören.
       Und das tun die Motive nun also nicht nur im jetzigen Fall des Bauunternehmers einschließlich seiner Aufträge und überhaupt seiner äußeren geschäftlichen Umgebung; sondern wir können uns ganz leicht klarmachen, dass sie das ebenso gut in Lorkovicens Beispiel von unserer eigenen physischen Äußerlichkeit tun, als Gefühl in der Hand, als Gefühl des ganzen Menschen. Auch diese Äußerlichkeit, diese ganze empirisch festliegende Natur unseres Leibes, wie im Übrigen auch unseres unveränderlichen Charakters, ergibt sich aus unserem freien „aus uns Selber“; die Freiheit liegt in der einen Fallgruppe so gut wie in jeder anderen, nicht im Handeln, sondern im Sein. Aber das Sein ist denn auch frei und „aus sich selber“, unser Handeln und Verhalten ist dem entsprechend in mittelbarer Weise frei von uns bestimmt und festgelegt; unser ganzer Leib ist von der Befruchtung im Mutterleib an aus unserem „aus uns Selber“ hervorgegangen. Schon damit ist alles festgelegt, frei und „von uns selber“, jede unserer Aktionen und Reaktionen, je nachdem wie man uns in der Welt begegnet. Und es hat bei alledem für unsere Freiheit nicht die geringste Bedeutung, ob jemand anders uns das Motiv gesetzt hat, z.B. der Kunde in Gestalt seines Angebotes, oder der Chirurg durch die „direkte elektrische Reizung der Hirnoberfläche“ als Ursache des Motivs, des entsprechenden körperlichen Gefühls, in Lorkovicens Beispiel; oder ob unter anderem sogar wir selbst, sehr oft in empirisch unbewusster Weise, das Motiv gesetzt haben – alle diese Motive, auf die wir dann entsprechend der „von uns selbst“ in aller Freiheit gesetzten Natur reagieren.
       Im Übrigen spricht Lorkovic von einer „ersten Ursache“ unserer „willentlichen Bewegung“, in seinem Fall von der besagten „direkten Reizung der Hirnoberfläche“. Aber es gibt selbstverständlich keine „erste“ Ursache; die „direkte Reizung“ ist ihrerseits unter anderem vom Gerät des Arztes verursacht und von der Idee seines Experimentes – eine Ursache hat ja in der Regel außerdem mehrere gleichzeitige, parallele Faktoren – und glauben wir, Gerät und Idee hätten keine Ursachen, rückwärts gerechnet, a parte ante? Und sie hätten sie nicht zwingender Weise? Usw. ins Unendliche – ähnlich, nur nicht ganz so, wie für die Richtung in die Zukunft, a parte post, nachdem das Motiv, in diesem Fall das physische Gefühl, die „willentliche“ Handbewegung verursacht hat: hier kann die Handbewegung ihrerseits eine Wirkung haben, z.B. das Gespräch zwischen Arzt und Patient, Lorkovicens Ausführungen in seiner Schrift; oder Erinnerungen und Gespräche des Patienten, Umstürzen einer Vase; usf., auch hier ins Unendliche, nur dieses Mal nicht zwingender Weise ins Unendliche.
       Freunde, es ist klar, das Motiv, der Beweggrund, gehört in die Ursachenketten der empirischen Schicht, wie Raum und Zeit, zusammen mit den Ursachen; die wir „Motive“ im weiteren Sinne nennen könnten, wie auch mit denen, die überhaupt keine Motive sind, weil sie nicht nur nicht auf dem Weg über unsere Erkenntnis, sondern überhaupt nicht über unsere Subjektivität wirken. Das heißt insgesamt, die Motive gehören in die Schicht dessen, was Kant und Schopenhauer „Erscheinung“ oder „Vorstellung“ genannt haben. Und wir haben damit nun erstens unsere anfängliche Frage beantwortet, nach der Rolle, die der Begriff des „Motivs“ oder „Beweggrundes“, aus der Nr. I „Zur Willensfreiheit“, in den ausführlichen und grundsätzlichen Ausführungen der Nr. II spielt.


3.) Nutzanwendung.


(10) Darüber hinaus aber haben wir nun zweitens Anlass, eine sehr wichtige und grundlegende Feststellung zu treffen; nämlich die Feststellung von der absoluten Ignoranz der so genannten „Gen-Philosophen“ und der übrigen so genannten „naturwissenschaftlichen Philosophen“ bei ihren Versuchen, die Frage der Willensfreiheit mit naturwissenschaftlichen Mitteln zu lösen. Sie verneinen unsere Willensfreiheit im Wesentlichen immer deshalb, „weil unsere Gene und die auf uns kontinuierlich einwirkenden Umweltverhältnisse unser Verhalten in jedem Augenblick unseres Lebens determinieren.“ Unsere Gene aber sind wir selbst! Und wir haben begründet, weshalb wir selbst uns zwar bestimmen und insofern determinieren können („determinare“ heißt „bestimmen“); aber es lag zugleich auf der Hand, dass wir durch eine solche Selbstbestimmung nicht unsere Willensfreiheit verlieren; und dass wir deshalb, im Sinne des philosophischen oder naturwissenschaftlichen Sprachgebrauches, durchaus nicht „determiniert“ sind; schließlich kennen wir den extrem freiheitlichen Begriff der Selbstbestimmung! Unsere Natur sind wir selbst, Freunde! Wie also könnten wir durch sie unsere Freiheit verlieren!
       Der Begriff der Zeit kam hinzu; aber auch die Zeit kann an der Freiheit unserer Selbstbestimmung nichts ändern! Wie sollte sie! Selbstbestimmung bedeutet nun einmal Freiheit. Und da das so ist, so schließen wir eben, dass die Zeit mit ihrer Notwendigkeit, mit ihrer kausalen Notwendigkeit, nur „Erscheinung“ ist; oder haben wir vor lauter Pseudonaturwissenschaft verlernt, Schlüsse zu ziehen? Wir sind es ja alles im Einzelnen durchgegangen!
       Und was die Umweltverhältnisse anbetrifft, so determinieren auch sie uns nicht; sondern wir reagieren auf sie! „Reagieren“ aber ist etwas ganz anderes als „determiniert werden“, seine Willensfreiheit verlieren. Auch das liegt auf der Hand. Jeder jeweils vom anderen verschiedene Charakter, jede Natur, die von der anderen verschieden ist, reagiert dem entsprechend anders auf die „Verhältnisse“; wodurch aber sind sie verschieden? Da sind wir wieder bei der Selbstbestimmung!
      „Agere sequitur esse.“ „Das Handeln ergibt sich aus dem Sein“ (wörtlich: „Das Handeln folgt dem Sein/ist eine Konsequenz des Seins“), es ist ein alter Satz der Scholastiker: die Reaktion auf die Verhältnisse ist das „Handeln“ (das „agere“), die Selbstbestimmung bestimmt das „Sein“ (das esse); und nun: „Agere sequitur esse“, sowie: „Die Freiheit liegt im Sein“. Was also soll das ignorante Herumpfuschen in der Schicht der „Erscheinung“, der Schicht der Naturwissenschaft; jedes Wesen ist vollkommen frei bei der Bestimmung seiner „Erscheinung“. Ihr pfuscht nur in dem herum, was von der Freiheit vorher geschaffen worden ist; keine eurer Schlussfolgerungen geht über das hinaus, was von der Freiheit schon vorher festgelegt worden ist.
      Überhaupt, ihr Kinder der Hochfinanz, nicht etwa „Kinder der Zeit“: „Entlarvt“, „enttarnt“ einmal eure eigene „Selbsttäuschung“, statt immer nur die angebliche „Selbsttäuschung“ anderer zu „entlarven“! Es ist pure Einbildung zu meinen, dass man philosophische Gegenstände einfach so, ohne Fachwissen, beurteilen könne – so als ob man von den großen Denkern nichts zu lernen hätte. Die Einbildung, dass wir das können, meine Freunde, ist aus der Luft gegriffen - - wie jede arme, ach so bescheidene, bedauernswerte moderne Idee.






Hans Rochol im November 2006.







© www.rochol.net, September 2003.