Zur zusätzlichen Klärung.


(31) Ich weiß, ich weiß, liebe aszetisch scharf und genau nachdenkende Leser; es geht hier nicht nur um den bewussten menschlichen Willen; genauer: es geht nicht nur um den von Bewusstsein und Intellekt beleuchteten Willen – der Wille selbst ist ja nie bewusst, das heißt: er ist sich nie bewusst, er ist höchstens uns bewusst – . Es geht also nicht nur um diesen bewussten Teil des Willens; sondern es geht auch um den von Bewusstsein und Intellekt nicht beleuchteten Willen; also um den Willen, der uns unbewusst ist; sich selber ist er es ja sowieso immer und in allen Fällen. (Wer es für nötig hält, kann sich unter anderem ja noch einmal den Absatz 9, vor allem dessen dritten und dessen letzten Teilabsatz, über die Subjektivität des Willens in Erinnerung bringen, die eben nicht die Subjektivität des Intellektes und so auch nicht die der Bewusstheit ist. Überhaupt, wir haben schon alles gesagt; wir haben nur für den einen oder anderen, der mit solchen Gedankengängen weniger vertraut ist, noch nicht genug darüber reflektiert.) Und dieser unbewusste Wille nun also soll sich dem Allerhöchsten bis zu einem gewissen Grade annähern und ihm ähneln – wollen wie er und damit werden wie er – und so die „wunderbar weisen und zweckmäßigen“ Aspekte der Natur, nämlich seiner selbst, zustande bringen? „Wie kann er das? Er ist doch blind.“ Schwer zu begreifen? Vielleicht; wir werden sehen. Aber es ist nicht widersprüchlich! Denn schon die Behauptung „Er ist doch blind“ geht viel zu weit! Jedenfalls, wenn sie die Bedeutung haben sollte, es könne zwischen dem menschlichen Willen und dem Allerhöchsten, und innerhalb des menschlichen Willens zwischen den einzelnen Bausteinen des Lebens, bis zur vollendeten Schöpfung keine andere Verbindung geben als unser Bewusstsein oder das des Allerhöchsten. Im Gegensatz zu all dem könnte es jedoch sehr gut irgendein uns jetzt unbekanntes Bewusstsein geben, oder eine Parallele dazu; es wäre ja denkbar, dass wir bei z.B. bei einem Schwinden unseres Bewusstseins, das uns in unserem jetzigen empirischen Dasein ganz beherrscht, solche Verbindungen auf irgendeine Weise, die uns jetzt nicht vorstellbar ist, bemerken würden. Und der Grund dafür,dass wir diese Möglichkeit offen lassen? Die unergründliche Tiefe des „Seins aus sich selber“: der Subjektivität unseres Willens (siehe vorhin im 9. Absatz Teilabsatz 3); eine Tiefe, die zur Folge hat, dass wir sie nicht wirklich ganz überblicken, dass sie für uns, wie gesagt (im 9. Absatz), nicht ganz begreiflich ist – obwohl wir eine Reihe von Teilfeldern des Begriffes abgrenzen können, die uns ganz begreiflich sind. Vielleicht kommen wir in den nächsten Absätzen der Sache sogar noch ein bisschen näher! Jedenfalls schließt die Behauptung, es gebe die genannten Verbindungen, keinen begrifflichen Widerspruch in sich.

(32) Ihr sagt: „Einverstanden, das heißt, es ist nicht bewiesen, dass der unbewusste Wille die besagten „wunderbar zweckmäßigen“ Gebilde und Gestalten seiner selbst, also in der Natur, aus sich selbst heraus, aus eigener Kraft, nicht hervorbringen kann; und es steht nicht fest,dass er dafür das „intelligent design“, die bewusste Planung und die darauf aufbauende determinierende Wirkursächlichkeit von Seiten eines anderen Wesens braucht. Aber es sollte ja bewiesen werden, dass er es könne und dass er die besagte Planung und determinierende Wirkursächlichkeit nicht brauche.“ Und die Antwort? Die Beweislast tragen die ID-Leute; denn sie behaupten ja das göttliche „intelligent design“. Aber gut! Bringen wir die Begründung, die uns nicht obliegt: Wenn der unbewusste Wille die „bewusste Planung“ und die Wirkursächlichkeit Gottes brauchte, so müsste Gott beide auch ausführen; so wären wir determiniert, so „hätte der Mensch keinen freien Willen“, und so gäbe es also keine Moral! Aber es gibt eine Moral. Also brauchen wir die bewusste Planung und die determinierende Wirkursächlichkeit Gottes nicht. Siehe zur Begründung vorhin (im 3.- 5. Absatz und im zweiten Abschnitt im 9. Absatz): die Aussichtslosigkeit der beiden Versuche, die Existenz von moralischen Normen zu widerlegen; die Hoffnungslosigkeit des einen, lamarckistischen, ganz ernst gemeinten, aber mit Sicherheit überholten, und (im zweiten Abschnitt des 9. Absatzes) die Vergeblichkeit des anderen, pseudonaturwissenschaftlichen, der nicht einmal von der Naturwissenschaft selbst definitiv vertreten wird; und der überdies von der Willens-Philosophie perfekt aufgelöst wird. – Das heißt im Einzelnen unter anderem: „Das Handeln ergibt sich aus dem Sein“ „Agere sequitur esse“ (das wussten auch die alten Scholastiker); mit anderen Worten: Ist es meine Handlung, so ausschließlich deshalb, weil sie aus meinem Wesen hervorgegangen, von ihm verursacht und so denn auch von ihm determiniert ist. Also liegt die Freiheit nicht im Handeln, sondern im Sein. Das Sein aber ist nur frei, wenn es „aus sich selber“ ist; denn „aus anderem“ ist es nur, wenn es von anderem verursacht, also determiniert ist. Und: Mein Sein ist nur dann aus sich selber, wenn mein ganzes Sein es ist; sonst fehlte mir u.a. die innere Einheit, und ich wäre nicht Einer, sondern Zwei. Siehe außerdem vorhin am Anfang (im fünftletzten Abschnitt von Absatz 9). Also ist auch der unbewusste, nicht vom Intellekt beleuchtete Teil der menschlichen Natur, des menschlichen Willens, aus sich selber; erst recht, wenn der bewusste Teil, der ja ebenfalls frei sein soll, mit ihm eins ist. Das, meine Freunde, genügt als Grundlage für das aus sich selber Seiende, mit autonomen, strebenden Zwischenstufen und mit Gott als höchster, vollkommener Stufe und Spitze kraft dieses „Seins aus sich selber“ (siehe, wenn nötig, vorhin am Ende von Absatz 28). Und nehmen wir ruhig an, dass es sich mit den unbewussten Regionen der übrigen Welt, des übrigen Willens, die nicht grundsätzlich anders strukturiert sind, ebenso verhält.

(33) Also hat der Wille, zumindest der menschliche Wille, was er geleistet hat, „aus sich“ geleistet; und sein Verhältnis zum Allerhöchsten besteht nicht darin, dass er dessen „intelligent geplante“ und determinierte Wirkung ist; vielmehr besteht es ausschließlich in seinem „aus ihm selbst“ hervorgehenden Streben nach derselben Vollkommenheit, die auch der höchsten Spitze eigen ist; was im Falle des Willens bedeutet, dass er damit zum Teil denn auch schon vollkommen ist, da ja, wie gesagt, das Sein des Willens ausschließlich im Streben besteht. Genügt das? Objektiv ja; aber setzen wir die zusätzliche Klärung des Gegenstandes noch ein Stück weiter fort.

(34) Wir haben gesagt, wir könnten dem Gedanken einer Verbindung im Willen ohne unsere Art des Bewusstseins, ohne „intelligent design“ von Seiten eines anderen oder unseres eigenen Wesens, vielleicht noch ein Stück näher kommen als bis zur bloßen Nichtwidersprüchlichkeit des Gedankens in Verbindung mit seiner Notwendigkeit um unserer Freiheit und Moral willen. Sehen wir einmal zu! Der menschliche Wille also hat das menschliche Auge mit all seiner erstaunlichen Zweckmäßigkeit selbst geschaffen, oder der Mensch ist nicht frei, und es gibt keine Moral; das haben wir jetzt genügend klargemacht! Aber was genau kommt uns an der Schöpfung des Auges durch den Willen denn so überaus erstaunlich vor – scheinbar zu erstaunlich? Es ist die genaue Übereinstimmung und Harmonie der zahlreichen Teile des Auges unter- und miteinander. Warum aber ist gerade sie erstaunlich? Meine Freunde, wir brauchen nur ganz wenig zu überlegen! Die Übereinstimmung als solche ist erstaunlich wegen der räumlichen Distanz und der darin liegenden numerischen Verschiedenheit zwischen den einzelnen Teilen; zum Teil auch wegen gewisser, ähnlich wirkender zeitlicher Distanzen; und vor allem wegen der Kausalitäten – die äußerlich im Bau der einzelnen Teile zum Ausdruck kommen – also wegen der numerischen Verschiedenheit zwischen Ursache und Wirkung (Teilabsatz 3 im 9. Absatz); auch hier also wegen einer Distanz; und wegen der dennoch bestehenden Harmonie zwischen beiden, so gut wie zwischen den räumlich und zeitlich auseinanderliegenden Komponenten. Damit aber ist denn auch schon ein wesentlicher Teil der Sache geklärt. Denn wir wissen ja (siehe Teilabsatz 3 im 9. Absatz): im Willen gibt es keine numerische Verschiedenheit von Ursache und Wirkung, also keine Diskrepanz zwischen ihnen! Insofern also schon einmal fällt der Willensakt in eins zusammen; und insofern ist er denn auch über jedes Bedürfnis nach Harmonie erhaben.
      Und wie ist es mit Raum und Zeit und mit den Diskrepanzen, die auf sie zurückgehen? Wir wissen doch, es gibt seit alters den Gedanken der Ewigkeit, mit anderen Worten: den Gedanken der Erhabenheit über Raum und Zeit. Und wir haben gerade in der neuen, kritischen Philosophie, im ersten Teil von Kants „Kritik der reinen Vernunft“, der „Transzendentalen Ästhetik“, den kürzesten und besten Nachweis dafür, dass wir selbst es sind, die Raum und Zeit in die Gegenstände nur hineinlegen, in denen beide „an sich“ nicht sind. Und wie lautet der Nachweis? Wir vermeinen vor aller Erfahrung, also ohne alle Erfahrung, also unabhängig von aller Erfahrung hinsichtlich aller Phänomene, die unseren fünf Sinnen erscheinen, mit absoluter Sicherheit, dass sie räumlich und zeitlich bestimmbar sind, kurz: dass sie räumlich und zeitlich sind; wir können es uns gar nicht anders vorstellen; wir könnten es aber, richtig besehen, nur aus der Erfahrung wirklich wissen; ihr haben wir es jedoch ganz sicher nicht entnommen – eben weil wir, ohne sie zu Rate zu ziehen, nicht anders als räumlich und zeitlich denken können; also legen wir Raum und Zeit in die erfahrenen Gegenstände nur hinein – die, für sich betrachtet, als „Dinge an sich“ weder räumlich noch zeitlich sind. Wer Kants „Transzendentale Ästhetik“ liest, wird sehen, dass es immer wieder nur auf dieses eine einzige ebenso erstaunliche wie einfache Argument hinausläuft. Und so entfällt, neben der kausalen, auch die räumliche und zeitliche Diskrepanz im so genannten Wunderwerk des Willens, in diesem Fall: im Auge; und so entfällt andererseits, zugleich auch wieder aus diesem zweiten, zusätzlichen Grund, die numerische Verschiedenheit zwischen Ursache und Wirkung, die ja nur durch Raum und Zeit zustande kommen könnte. Das heißt, so fällt auch unter allen diesen Aspekten, und so denn überhaupt unter allen Aspekten, der aus sich selber seiende Akt des Willens, in Gestalt des aus sich selber seienden Auges so gut wie in Gestalt aller anderen Teile der Welt – „an sich“, als „Ding an sich“ – jeweils in einem einzigen völlig einigen Akt des Willens zusammen. Ohne räumliche, zeitliche und kausale Diskrepanzen. So zeigt sich denn auch die Überflüssigkeit unseres so maßlosen Erstaunens über eine Harmonie, die der Wille schon deshalb nicht braucht, weil er von vornherein keine Diskrepanzen hat: weil wir die so genannten Diskrepanzen in Gestalt von Raum, Zeit und Kausalität in ihn überhaupt erst intellektuell hineingelegt haben – worin, meine Brüder, nur wenig überspitzt gesagt, überhaupt unser ganzes diesseitiges, empirisches Leben besteht – . Und so brauchen wir denn auch kein göttliches „intelligent design“ mit sich anschließender göttlicher determinierender, entmoralisierender Wirkursache für die Erklärung der „ordnenden Prinzipien, Muster, Gesetze und Zusammenhänge“ in dieser Welt, die nicht Gott, sondern wir in ihre Willensnatur, in ihr „dynamisches aus sich Selber“, hineingelegt haben und die aus diesem Grunde sehr viel mehr die unseren sind, als die allermeisten es sich träumen lassen.
      Kant hat sein Stichwort „hineingelegt“ sehr genau entwickelt; und er sagt jedes Mal, oder er gibt zu verstehen – und er kann auch gar nicht anders – in was wir Raum, Zeit und Kausalität „hineinlegen“; nämlich: in das „Ding an sich“. Nur sagt er gleich dazu, dass wir das „Ding an sich“ seinerseits unter keinen Umständen erkennen. Können wir es trotzdem?
      Um uns herum liegt die empirische, mit unseren fünf Sinnen wahrnehmbare Welt, die Welt der „Vorstellung“ oder „Erscheinung“, einschließlich unserer eigenen äußeren Erscheinung; und wir fragen uns jetzt, ob das „Ding an sich“ von ihr verschieden ist; ob wir also überhaupt zwischen beiden Schichten unterscheiden sollten. Kant macht diesen Unterschied unter anderem wegen der Diskrepanz der äußeren Welt von unserer eigenen inneren intellektuellen Instanz. Außerdem aber wissen wir genau, dass es in der sinnlich wahrnehmbaren, empirischen Schicht kein „aus sich Selber“ geben kann, sondern dass Ursache und Wirkung hier in allen Fällen numerisch voneinander getrennt sind. Und wir kennen andererseits unseren Willen, mit seiner Willens-Subjektivität (vorhin in Absatz 9 Abschnitt 4) und folglich auch mit seinem „aus sich Selber“, den wir demnach nicht nur kennen und der wir, ohne Diskrepanz zu unserer innern Welt in Freuden und in Schmerzen selber sind, der wir also wirklich sind, sondern der zugleich als „aus sich Selber“ von „Erscheinung“ oder „Vorstellung“ wesentlich unterschieden ist. Also ist dieser aus sich selber seiende und bei uns unendlich tief sitzende Wille, erstens schon aus diesen beiden jetzt genannten Gründen das „Ding an sich“ – und das Ding an sich ist so als Wille für uns erkennbar; worum es uns ja ging.
      Außerdem hat Kant selbst immer wieder hervorgehoben, dass das „Ding an sich“ oder die „Dinge an sich“ existieren. Vor allem aber wusste er – und das ist nun der zweite Grund – dass z.B. wir Menschen „Dinge an sich“ sind; denn wir „haben“ ja, wie er (in der „Kritik der praktischen Vernunft“) selber sagt, „das moralische Gesetz in uns“; und dessen Zugehörigkeit zum „Ding an sich“ hätte gerade er nie bestritten. Die Moral aber ist eine Modifikation auch wieder nur des Willens! Wir selber also sind, auch nach seiner Vorstellung, mit unserem Willen Träger von etwas, das zum „Ding an sich“ gehört; und dennoch hob er in unangenehmster Weise immer wieder hervor – bis zur Arroganz, die geradezu seiner Größe Abbruch tat – dass wir dieses Ding oder diese Dinge auf keinen Fall erkennen könnten! Er hätte nur die von ihm „kritisierte Vernunft“ von unserem Wesen zu subtrahieren brauchen; und der Wille wäre schon auf diesem Wege als „Ding an sich“ allein zurückgeblieben. – Brüder, lasst euch von den Herrschenden und ihrem Gescherr, den Universitäten, nicht irreführen! Die Großen haben nicht umsonst gelebt; auf Kant folgten Schopenhauer und Kierkegaard; und wir sind inzwischen imstande, die Dinge zu überblicken.
      In dieses „Ding an sich“ nun also, in das „dynamische aus sich Selber“, unter das alles Empirische und so denn auch das „Wunderwerk“ des Auges zu subsumieren ist, legen wir Raum, Zeit und Kausalität mit ihren Diskrepanzen und dem daraus erwachsenden Schein der Notwendigkeit einer „intelligenten Planung“, z.B. wieder für das Auge, nur hinein. – Im Übrigen aber brauchen wir, wie gesagt, in diesem Falle gar nichts nachzuweisen; es sind die Kreationisten, die Anhänger des „intelligent design“, die beweisen müssen, dass das menschliche Auge, so gut wie jedes andere Wunderwerk der Natur, ohne das „intelligent design“ von Seiten Gottes nicht zustande kommen konnte.
     Aber ganz davon abgesehen, ihr Kreationisten und ID-Leute, was würde der Ewige dazu sagen – dem ihr ja zu dienen vorgebt – wenn ihr versuchtet, Zeitlosigkeit und Raumlosigkeit zu bestreiten, und damit ja wohl auch die Ewigkeit. Alles nur, um die Notwendigkeit des „intelligent design“ für die „Wunderwerke“ der Natur zu zeigen. Wie sieht der Ewige die Welt? Er sieht sie auf seine Weise, also ohne Raum und Zeit; und er sieht sie ja wohl richtig. Ergo! Gerade das ist übrigens ein Gedanke Kants.
     Oder meinen wir nicht auch auf Grund unserer eigenen Prämissen, dass die vollkommene Stufe des „Seins aus sich selber“ ewig ist? Folgt jetzt eine mühselige Erwägung? Nein! Es geht sehr schnell: Vollkommenheit schließt Allmacht in sich, also auch, dass das vollkommene Wesen jeden Punkt in der Reihe der Zeit an jedem anderen Punkt dieser Reihe und jeden Punkt im Raum an jedem anderen räumlichen Punkt ebenfalls unmittelbar und, so oft er es will, erlebt; mit anderen Worten: dass es alles und jedes in ewiger Weise erlebt; ohne die Mühsal unseres Daseins. Mehr Worte sind nicht erforderlich. Aber wir können zum Überblick noch sagen: Die Subjektivität des Willens besteht im „Sein aus sich selber“ (vorhin im vierten Abschnitt von Absatz 9); das Sein aus sich selber aber führte zwingend zur Existenz eines vollkommenen Wesens an seiner Spitze; und die Vollkommenheit endlich schließt Ewigkeit in sich.


Konklusion zum weltanschaulichen Teil.


(35) Worin also bestehen die Kommunikationen innerhalb des Willens zwischen seinen eigenen Komponenten, von denen wir soeben (im 31. Absatz) sprachen? Sie bestehen jeweils in der Einheit des Willensaktes; gibt es gründlichere Verbindungen als die Einheit des zu Verbindenden? Und: wir wissen ja: „Einfach“ so lautet das Siegel des Wahren/Simplex sigillum veri. Aber selbst wenn es nicht so einfach wäre: wir haben jedenfalls gesehen (in Absatz 32 und 33), was der Gedanke der Determination besagt – dass wir nämlich unser Wesen, schon wegen seiner sonst zwingenden Determination, nicht anders verstehen können denn als Sein, das „aus sich selber“ ist; und dass vor allem wir Menschen hiernach nicht als Wesen nach göttlichem Plan, „intelligent design“, und so denn auch nicht als Folge determinierender Wirkursächlichkeit zu verstehen sind.
      Aber da es so einfach ist, bedeutet nun diese Einfachheit, dass uns der Willensakt zur Gänze klar geworden sein müsste? Etwa, da die Welt ja Wille ist, da unser Auge Wille ist, „dynamisch und aus sich selber“: haben wir nun deshalb das Auge, den Willensakt, ganz erklärt? Freunde, das haben wir gerade nicht. Denn wir brauchen jetzt ja nicht mehr, um die Möglichkeit der „Wunderwerke“ zu erklären, dem Allerhöchsten eine bloße bessere Ausführung unseres umständlichen menschlichen, mit Raum, Zeit und Kausalität operierenden Verstandes für sein „intelligent design“, seine hohe göttliche Planung, anzudichten.
      Und der Willensakt als solcher, ohne Raum, Zeit und Kausalität, und insofern als die einfachste Einheit, die es gibt – ist er auch hiervon abgesehen, so einfach, dass es nichts weiter zu erklären gibt? Wir wissen es nicht, aber wir haben im Erlebnis unseres Willens, in unserer Innerlichkeit, einen Ansatz, es zu erfassen; und wir würden ihn logischerweise ganz und zutiefst erfassen, wenn wir nicht durch unsere fünf Sinne und unseren Raum-, Zeit- und Kausalitäts-Verstand zu sehr an diese Welt gebunden wären, zu sehr von ihr in Anspruch genommen wären. Mystisch? Mystisch oder nicht! Als Konsequenz aus dem bisher Gesagten ist es rational. Und das sollte uns genügen. – Wer sagt überhaupt, dass Mystik, und dass Romantik, von der wir ja ebenfalls schon sprachen, nicht rational sein können?

(36) Aber dann hätten ja wir Menschen eine schöpferische Kraft, proportional zu Gott, in Gestalt unseres Willensaktes, z.B. unseres nicht durch Raum, Zeit und Kausalität auseinandergezogenen Auges! Dass es so ist, ergibt sich aus unserer Moralität; und wir haben es mehr oder weniger implizit auch längst gesagt: wir und alle anderen Wesen haben diese Kraft (so wie wir es vorhin in den Absätzen 9 – 13 wiederzugeben versuchten). Jedes Wesen hat so viel schöpferische Kraft, wie es Sein hat, „wie es ist“, da es ja schon wegen seiner Moralität notwendig „aus sich selber“ ist; so hat alles seine Ordnung! Müssen wir denn auch unbedingt völlig nichtig sein? So wie wir es als determinierte Wesen wären? – Im Übrigen spürt jedes Wesen von den Folgen seiner Verdienste und Verfehlungen im Ganzen, im Endergebnis, so viel oder so wenig – oder gar nichts – wie es verdient hat; und wir empfinden selbst, dass unser moralisches Verhalten verdiente Folgen haben wird. – Wir sind ferner nichts anderes als die dynamische Zwischenstufe zwischen dem Nichts und dem Vollkommenen, dem Allerhöchsten, zu dem sich das „aus sich selber Seiende“ kraft dieses „ aus sich Selber“ zeitlos und von Ewigkeit her erhebt (siehe vorhin am Ende des 28. Absatzes). Und wir haben nun also, nach allem, zu diesem Allerhöchsten nicht das tote Verhältnis der determinierten Wirkung zu ihrer Wirkursache – um es noch einmal zu sagen – sondern wir haben zu ihm (siehe u.a. im 30. Absatz) das lebendigste, billigste und gerechteste Verhältnis, das sich denken lässt. Das des Strebens, das uns ihm ähnlich macht, weil der Wille, das Streben, das ist, was er will; was uns zu „ordnenden Prinzipien, Mustern und Gesetzen“ macht, zu den bei manchen so zäh geliebten „Wunderwerken“ des Ge„schöpf“ten, dessen, was man „Schöpfung“ nennt; oder wir haben zu demselben Allerhöchsten in anderer Hinsicht auch wieder das Verhältnis, gerade nicht nach ihm zu streben, sondern unvollkommen sein zu wollen und es infolgedessen auch zu sein.

(37) Will ich nun mit all dem sagen, dass sich die „maßgebenden Pioniere der Naturwissenschaft (Kepler, Galilei, Pascal, Newton und so weiter)“ zu Unrecht an der „Ordnung“, an den „Wunderwerken“ der Natur erbauten? Ich möchte wissen, wie man darauf kommen sollte? Woran erbauen wir uns denn mehr? Wenn etwas „aus sich selber“ gut oder schön oder zweckmäßig ist – man kann überhaupt nur „aus sich selber“ gut sein – und damit „aus sich selber“ auf den Allerhöchsten hinweist? Wenn wir wirklich, und nicht nur mit einem unwahrhaftigen Trick behaupten können: „Die ganze Schöpfung preiset dich!“ Oder wenn das Geschöpf „von sich aus“ gar nichts ist, sondern alles, einschließlich seines Gotteslobes, von Gott her hat, so dass Gott in Wahrheit nur sich selber lobt? Und wenn sogar die bösen oder minderwertigen Erscheinungen alles nur von ihm her hätten – und uns dann ja wohl ebenso „gut“ oder ebenso böse an ihn erinnerten? Niemand braucht also künftig angesichts des Bösen unter den „Geschöpfen“ seine Gedanken zu verschweigen oder sie zu unterdrücken, kein Geistlicher braucht mehr unlogisch zu predigen – soweit er überhaupt noch auf solche Fragen eingeht – um unsere Gedanken mit einer frommen Lüge zu verwirren und uns von eindeutigen und glasklaren Beobachtungen abzulenken. Vielmehr kann sich jeder jetzt erst recht erbauen und naturwissenschaftliche Entdeckungen machen, wenn er den Genius dafür hat – was Öhrström ja miteinander verquicken möchte. Und so denn also: nichts gegen die Verehrer der „Wunderwerke der Natur“; aber wir müssen auch an die anderen denken, die das Verfehlte in der „Schöpfung“ sehen und die genauso gut wie die echten und wie die kalten Schwärmer ein Recht auf Ehrlichkeit und Logik haben.


Verborgene Bereiche.


(38) Wir kennen die eingeständlichen oder sogar polemischen Atheisten. Aber Marie von Ebner-Eschenbach sagt einmal: „Nicht jene, die streiten, sind zu fürchten, sondern jene, die ausweichen.“ Meine Freunde, es gibt auch die ausweichenden Atheisten: die einsilbigen unter ihnen, denn keiner ist ganz stumm. Sie sagen vielleicht einmal: „Ein Tier frisst das andere.“ Dann sind sie wieder still. Sie denken: Der eine einzige Schöpfer durch Wirkursache kann nicht gut sein, sonst hätte er es anders gemacht; oder, wahrscheinlicher: Es gibt ihn nicht; wir kennen doch das Diktum: Die einzige Entschuldigung für Gott ist, dass er nicht existiert. Oder auch sie sagen: Ich weiß nicht, ob er existiert; ich denke nicht mehr darüber nach; auf keinen Fall aber stimme ich in den Jubel ein: „Die ganze Schöpfung preiset Dich.“ „Und Deiner Hände Werk zeigt an das Firmament.“ Was daran schön ist, ist einzig die Musik von Haydn. Warum aber sollen nun gerade diese ausweichenden Atheisten die gefährlichsten sein? Weil sie nicht ex professo und nicht programmatisch wirken, sondern nur, wenn sie oder ihre Nächsten einen Anlass sehen; so wirken sie auf viele am überzeugendsten. Eine Nonne, die plötzlich bedenkt, was sie aufgegeben hat, äußert bei passender Gelegenheit: „Hoffentlich ist das wahr“, nämlich die katholische Lehre mit Gott als Grundlage. Ein Theologiestudent wird gefragt: „Wenn es nun keinen Gott gibt, welchen Sinn hat dann dein Leben?“ Er antwortet nicht etwa mit Entrüstung: „Aber höre mal, ich glaube an Gott“, sondern: „Dann hat man den Leuten geholfen“; das heißt, man hat ihnen heilsame Illusionen gemacht; Frage, ob es so was gibt; oder ob man dann nicht besser die Wahrheit sagte. Aber das ist jedenfalls das, was er wirklich denkt; die Wahrheit kommt auf Taubenfüßen, wie Nietzsche sagt; oder oft auch unter vier Augen, in einem wirklich und wahrhaftig gelockerten Gespräch, natürlich nicht bei albernem Gerede! Eine intelligente Frau, die nicht zur akademischen Sprach- und Begriffsgruppe gehört, sagt mit Entschiedenheit, wenn man sie fragt: „Religion muss sein! Aber vom Ursprung her kann man das nicht wissen.“ Sie meint, man weiß nicht, wie es wirklich ist. Ein protestantischer Pfarrer, der mitten in einem Elendsviertel, das ein guter Schöpfer seiner geheimsten Überzeugung nach nicht dulden dürfte, mit seinen eisern frommen Sprüchen vielen auf die Nerven fällt, wird endlich von einem rebellischen Lehrer zur Rede gestellt. Und seine Antwort? „Glaubst du denn, alle diese Menschen, gerade sie, könnten ohne diese Lüge leben?“ Es fehlte nur noch, dass der Lehrer dafür Verständnis hätte; aber das ist ganz sicher ziemlich häufig auch der Fall. Meine Brüder, wie groß sind diese verborgenen Bereiche mit ihrem gelegentlichen stillen Einverständnis zwischen Mensch und Mensch? Ich fürchte, sie sind sehr ausgedehnt; vielleicht machen sie unter den Atheisten sogar den Löwenanteil aus; denn Atheismus gilt trotz allem immer noch als hässlich, als etwas, das einer verborgenen Ordnung der Dinge widerspricht; so dass man ihn diskret behandelt. Recht so! Vielleicht möchte man, ohne es zu wissen, nur einen so genannten biblischen Gott mit seinem unnatürlichen, weil logisch abwegigen Determinations- und Zwangssystem einschließlich seiner Theodizee-Probleme nicht gegen einen Gott eintauschen, den möglicherweise so mancher in seinem Innern spürt; und der eben auf diesem Inneren, unserer Willensnatur, unserem so naheliegenden „dynamischen“, moralisch urteilenden und empfindenden „aus sich Selber“ aufbaut. – Wenn nun nur die Kirche den hierzu passenden bewussten Gottesgedanken nicht verschwiege! Was sage ich: „verschwiege“? Sie tut ausdrücklich so, als ob es ihn nicht gäbe, und möchte ihn trotz dieser Ausdrücklichkeit am allerliebsten obendrein auch noch verschweigen! Wir werden es sehen.


Das Wort Gottes.


(39) Natürlich hat Gott uns die Bibel nicht wörtlich diktiert. Dementsprechend haben wir es uns im Laufe der Jahrhunderte abgewöhnt, sie für nichttheologische Dinge beim Wort zu nehmen; zum Beispiel für naturwissenschaftliche Behauptungen. Und zu den nichttheologischen Dingen gehören nun auch begriffliche Widersprüche. Das nur für den Fall, dass der biblische Schöpfungsbericht tatsächlich behaupten sollte, Gott habe uns durch Wirkursache als freie, nichtdeterminierte Wesen geschaffen. Aber es hat sich gezeigt, dass das nicht das Problem der Kirche ist. Trotzdem mussten wir soeben vom Verschweigen und vom Leugnen sprechen. Warum verschweigt man, warum leugnet man? Aus kleinlichem Fachhochmut! Außerdem deshalb, weil die inneren Kreise der Hochfinanz atheistisch denken. Und bis zum Gegenbeweis auch deshalb, weil eine atomare und soziologische Großmacht, die sich mit der Hochfinanz im Wesentlichen deckt, die entgegengesetzte „philosophy“ durchsetzen will, den Kreationismus, oder dessen diplomatischere Form, den Gedanken vom „intelligent design“. „O Luther, Luther, du hast doch eine ungeheure Verantwortung!“ ruft Kierkegaard einmal aus, der anfangs selber Lutheraner war; wie kann ich es ihm nachfühlen! Aber es gilt wahrhaftig nicht nur für Luther, das wäre ja auch seltsam!

(40) Und lest einmal bei Thomas nach. In seiner „Summa“ sind die Dinge ja nicht schwer zu finden: Die Einsicht, dass es einen Gott gibt, ist nicht Teil des Glaubens. Sie ist eine „praeambula fidei“, eine „Präambel des Glaubens“, eine Voraussetzung des Glaubens; sie ist Sache der Lehre von den Grundbegriffen unserer Existenz, auch Philosophie genannt – nur mit der Besonderheit, dass der zuletzt genannte Begriff, des „Philosophen von München“, des „Philosophen von Bochum“, usw. usf. inzwischen pejorativ geworden ist. Der Glaube kann zwar auch als Glaube an Gott zur Wirkung kommen, sagt der fürsorgliche Heilige; aber er ist hier nur für den da, der die Gedankengänge des natürlichen Lichtes der Vernunft nicht fassen kann (qui demonstrationem non capit).

(41) Und fällt die grundbegriffliche Antwort auf die Gottesfrage bejahend aus, so geht die Begründung dafür folgerichtig auch die Unfehlbarkeit des Papstes nichts an, da sie ja nur für Fragen der Glaubens- und Sittenlehre zuständig ist, während der Gottesgedanke nur eine praeambula fidei ist und dem „natürlichen Licht der Vernunft“ angehört. Das sei für Unterwanderer gesagt; vorbeugend, meine Brüder – für den Fall, dass der Leiter der Glaubenskongregation aus dem Land des „intelligent design“ erwählt sein sollte. Noch nicht überzeugt? Gut, dann sagen wir auch noch Folgendes: die Unfehlbarkeit des Papstes gilt, selbst innerhalb der Glaubens- und der Sittenlehre, nicht für die Sanktionierung begrifflicher Widersprüche, zum Beispiel: für den begrifflichen Widerspruch zwischen determinierender Schöpfung durch Wirkursache und einem freien Willen als deren Objekt. – Und daran kann nicht einmal die selig-unselige Skepsis eines berufsmäßigen Schwätzers für Philosophie etwas ändern.

(42) Im Übrigen fasse ich mich zu diesen Dingen kurz. Nicht, weil endlos viele Theologen sich einbilden – wer weiß, ob es nicht alle sind? – wenn jemand ihre lächerlichen Examina und die lächerliche Zustimmung ihrer Kollegen nicht habe, dann sei ihm in theologischen Dingen der Mund zu verbieten. Also nicht deshalb; sondern weil alles so furchtbar klar und einfach ist! Wie gehen mir die Leute auf die Nerven, die gerade hier mit liebedienerischer Beflissenheit die ewig gleichen banalen Fragen stellen, so als ob sie der Menschheit gerade eben erst neu aufgegangen wären; und die, die sich dieser untertänigen, armseligen Fragesteller bedienen, um die Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen zu lassen, lang und breit und mit Befriedigung ihres fachlichen Geltungsbedürfnisses und ihrer fachlichen Eingebildetheit seichtes Zeug zu reden, das auf alle gesellschaftlich verbreiteten, höchst langweiligen und umständlichen Dummheiten und Kleinheiten klüglich und afterdiplomatisch Rücksicht nimmt.

(43) Und noch eins, Freunde, unterschätzt die Bibel nicht. Sie kennt den Gedanken vom „allmächtigen Wort“ des Schöpfers. Das Wort aber wirkt nicht als Wirkursache, es wirkt als Zweckursache (als causa finalis), als Motiv; als Ursache, die dadurch wirkt, dass sie erstrebt wird; und die nicht determiniert, wenn sie auf ein Wesen wirkt, das „aus sich selber“ ist! Wer denkt dabei nicht an uns, die dynamische Zwischenstufe und ihr Streben innerhalb der Gesamtheit des „aus sich selber Seienden“, das sich kraft dieses „Seins aus sich selber“ zur höchsten, vollkommenen Stufe erhebt? Meine Brüder, wer denkt dabei nicht an Gott als Motiv, dessen allmächtiges „Wort“ uns „ins Dasein ruft“?


Worum geht es?


(44) Und es ist dieser jetzt noch einmal kurz wiedergegebene Gedanke, vom voluntativen, finalistischen Theismus, um dessen gründlichere Wiedergabe wir uns während der gesamten Ausführungen bemühten. Was war der Zweck? Selbstverständlich zunächst einmal der Gedanke selbst; er dürfte ja genug Gewicht haben, um Selbstzweck zu sein. Oder wimmelt es etwa von Deutungen unseres Daseins, die auf unserem wirklichen Wesen, der in Freude und Leid strebenden, sehnsuchtsvollen und sich verantwortlich fühlenden Energie, aufbauen und die die Konsequenzen dann auf dieser Grundlage in nachprüfbaren Denkschritten deutlich machen? Was die Energie betrifft, so decken wir uns mit der naturwissenschaftlichen Auffassung. Und wie ist es mit der Energie, die man Streben oder Willen nennt? Sie ist zugleich Psychologie, die auf der Hand liegt! Denn selbstverständlich haben wir einen Willen! Und ist er etwa keine subjektive Kraft? Und macht euch einmal daran, die Subjektivität des Willens anders denn als „Sein aus sich selber“ zu ergründen. Ebenso kann ein Wesen nur als Ganzes aus sich selber sein! Wir haben es vorhin schon ausgeführt (im 5. Abschnitt von Absatz 9). Es ist aber auch deshalb so, weil keine Trennung tiefer geht als die zwischen Sein „aus sich selber“ und „Sein aus anderem“. Wie hat Buddha sich gequält, um sich das Streben abzugewöhnen! Aber am Ende hat er gesagt: „Ich habe es nicht geschafft.“ Ich glaub´s! Er bestand ja nur aus Streben, wie wir alle; das Streben ist die Energie von innen betrachtet, wie gesagt. Und mit der dabei erlebten Verantwortung, der Moral – bin ich sowohl psychologisch wie auch naturwissenschaftlich vorgegangen. Denn versucht einmal, der Menschheit einzureden, es gebe kein moralisches Empfinden! Oder weist einmal nach, dass erworbene, also auch anerzogene Eigenschaften sich vererben. Also ist die Moral kein von außen anerzogener Firlefanz, den man so oder anders hätte „programmieren“ können. – Aber die und die wollen das, was darauf aufbaut, nicht durchdenken? Weil von ihresgleichen schon so viel Unsinn geredet worden ist. Recht so! Bleibt dabei! Wer Vorurteile hat, braucht niemanden zu interessieren. Was geht es mich an, dass die Universitäten auf dem Gebiet der Philosophie im Auftrag der Hochfinanz seit Langem langweiliges Zeug oder Unsinn reden. Glaubt ihr etwa, es läge einem ernsthaften Menschen daran, euch umzustimmen? Weiter so!

(45) Also, der jetzt wiedergegebene Theismus ist zunächst einmal Selbstzweck! Aber ich möchte ihn zugleich in andere Zusammenhänge bringen.
      Der Gedanke steht in lockerer Verbindung mit der naturwissenschaftlichen Evolutionstheorie. In welcher Verbindung, das kann jeder im 8. Absatz nachlesen; oder er kann sich daran erinnern; oder es sich selber klar machen; oder es auch im Nebel belassen, wenn er diszipliniertem Denken feinfühlig aus dem Weg zu gehen pflegt, so wie es sich für einen zivilisierten und gesellschaftsfähigen Menschen gehört. Es ist klar, auch der voluntative, finalistische Theismus – sein Aufschwung im „Ding an sich“ bis zur Vollkommenheit im Augenblick der Ewigkeit – könnte den naturwissenschaftlichen Evolutionsgedanken entbehren; es besteht aber doch eine Analogie. Vor allem aber kennzeichnen sich Kreationisten und ID-Leute durch die Art, wie sie den Evolutionsgedanken ablehnen – oder ihn klüglich und diplomatisch nur einzuschränken versuchen; und wie sie die so genannte herkömmliche biblische Auffassung für sich beanspruchen; diese Art ist überhaupt und im Ganzen höchst bezeichnend für den Geist der Vereinigten Staaten. Wodurch? Durch die Bigotterie und die Sucht, sich bei Gott Liebkind zu machen, durch den Missbrauch des Ewigen im Dienst des Diesseits, durch den Rückgriff auf längst Bekanntes, die philosophische Impotenz, und durch den Appell an den Instinkt der kleinen Formate und der Menge. Um diesen Ungeist geht es; und im Zusammenhang mit ihm um die spießige, verräterische Abhängigkeit der Römischen Kirche von denen, die den Ungeist wollen. Deshalb möchte ich zunächst einmal beiläufig und als Nichtfachmann in aller Bescheidenheit zum Ausdruck bringen, dass ich den Gedanken der Evolution für richtig halte – wenn die Evolution auch nicht mit zwingender Notwendigkeit immer nur aufwärts und auch nicht unbedingt im Sinne Darwins verlaufen sein muss.
     Ich möchte sodann etwas über die Art deutlich machen, in der Kreationisten und ID-Anhänger gegen den Evolutionsgedanken argumentieren: Die dänische Zeitung Weekendavisen schreibt am 4.8.05 auf Seite 1 und 4 u.a.: „Ein Eckstein – bei der so genannten Widerlegung oder wesentlichen Einschränkung der Evolutionstheorie zugunsten des kreationistischen „intelligent design“ – ist das, was Behe nicht-reduzierbare Komplexität nennt. Es geht dabei um biologische Strukturen, die nicht funktionieren, wenn man auch nur ein einziges ihrer Elemente entfernt. Das Argument lautet, es sei ja wohl nicht denkbar, dass eine Struktur sich gradweise entwickelt habe, wenn alle ihre jetzigen Teile absolut notwendig sind.
     Ein Lieblingsbeispiel ist die Bakteriengeißel. Gewisse Bakterien haben einen langen Schwanz in der Art eines Samenzellenschwanzes, und dessen peitschende Bewegungen werden von einem Geißelmotor getrieben, der sich innerhalb der Zellwand befindet, wo er mit zwanzigtausend Umdrehungen in der Sekunde surrt. Der imponierende Motor besteht aus gut dreißig verschiedenen Proteinen. Sie spielen jedes für sich ihre eigene Rolle bei der Bewegung, und sie sind jedes für sich notwendig, damit das ganze System funktioniert. Man kann kein einziges von ihnen entfernen, ohne dass der ganze Plunder zusammenbricht. Mit anderen Worten: die Bakteriengeißel kann sich nicht entwickelt haben, sagen die ID-Leute –
die „intelligent design“-Leute – sondern muss in der Werkstatt des großen Planers zusammengesetzt worden sein.
      Und die Antwort von Seiten der Evolutionstheorie: Fasst man die Geißelproteine ins Auge, so lässt sich denken, dass sie in primitiveren Bakterienzellen vorhanden gewesen sind, wo sie eine andere Funktion hatten, als einen Motor anzutreiben. Durch Mutationen und Anpassung wurden sie allmählich zu einem Bestandteil des Geißelmotors, als dessen wesentliche Bestandteile. Im Gegensatz zu Behes Behauptungen von einem göttlichen Eingreifen, gibt es Tatsachen, die Klarheit schaffen und auf die die Argumente der Biologen sich stützen können. Zum Beispiel gibt es Untersuchungen, die bekunden, dass Geißelproteine in früheren Stadien der Entwicklung Bestandteile bestimmter Pumpen in Bakterienwänden gewesen sind.
      „Entsprechende Entwicklungen findet man überall in der Biologie. Beispiele dafür lassen sich haufenweise aufzählen“, sagt David Ussery in einem Buch gegen das „intelligent design“. Und man kann es ihm glauben, man sieht es selbst als Nichtbiologe fast schon von sich aus ein. Dagegen setzen die ID-Leute zum Beispiel voraus: gemäß dem Gedanken von der Evolution seien die jetzige Struktur und die jetzige Funktion des betreffenden „komplexen“ Organismus (das jetzige Tier oder sein Organ) für die zusammentretenden Teile von Anfang an, und nie anders als mit ihrer jetzigen Beschaffenheit, unmittelbar bestimmend gewesen; und trotzdem seien, nach der Evolutionstheorie, die einzelnen Bauteile nur nach und nach und womöglich in endlosen zeitlichen Abständen zusammengetreten; so als ob sich zum Beispiel das Rind entwickelt haben sollte, indem seine Teile, so wie sie und das Rind jetzt sind und wie wir sie jetzt kennen, trotzdem nur nach und nach und in langen zeitlichen Abständen zusammengetreten seien. Also im Wesentlichen wie beim Puzzlespiel! Was natürlich unmöglich ist, gleichgültig, ob es sich um das Rind und seine Teile handelt oder um die Einzelzelle und ihre Proteine, die die ID-Leute als Beispiel herangezogen haben. Dagegen haben sich gerade nach dem Sinn des Entwicklungsgedankens Struktur und Funktion der jeweiligen immer wieder neuen Tierarten oder Organe im Verlauf der zahlreichen Stadien der Entwicklung selbstverständlich ebenso geändert, „entwickelt“, wie die Gruppierung der einzelnen Bausteine in den Organismen. Die Kritik an der Evolutionstheorie lautet vorhin: es sei ja wohl nicht denkbar, dass eine Struktur sich gradweise entwickelt habe, wenn alle ihre jetzigen Teile absolut notwendig sind. Aber man drückt sich dabei nicht deutlich genug aus; es hätte heißen müssen: Es sei ja wohl nicht denkbar, dass eine statische Struktur, ein ganz bestimmtes, jetziges Lebewesen oder lebendiges Organ, sich nur dadurch „entwickelt“ habe, dass es in beträchtlichen Zeitabständen wie aus Puzzleteilen nach und nach zusammengesetzt worden sei, wenn alle ihre jetzigen Teile absolut notwendig sind.


Über das Vorgehen der Kreationisten oder ID-Leute.


(46) Mit anderen Worten: das Vorgehen der intelligent design-Anhänger ist idiotisch. Sollte ich andere Ausdrücke wählen? Nein! Denn man braucht für den jetzt gezeigten Fehler der ID-Leute kein Verständnis zu haben. Jeder weiß ja, dass die Evolutionstheorie nicht die Behauptungen in sich schließt, die die ID-Leute ihr vorwerfen. Und man kann sich vor einer solchen Einsicht auch nicht in Sicherheit bringen, indem man behauptet (siehe vorhin im 27. Absatz), es bestehe in dieser Hinsicht ein Unterschied zwischen einzelnen Zellen, aus denen ein Mehr- oder Vielzeller besteht, und Proteinen, die einen Einzeller oder eines seiner Organe bilden, und am letzteren Beispiel begingen die Anhänger der Evolutionstheorie den soeben wiedergegebenen Fehler. Das heißt, es handelt sich beim „intelligent design“ um ein unsachliches Bestreben; sonst wäre ein Argument, wie wir es jetzt erlebt haben, nicht möglich.

(47) Nun zu den Propagandamethoden des „intelligent design“ gemäß dem zitierten Artikel in „Weekendavisen“ (vom 4.8.05 Seiten 1 und 4); man spricht hier zum Beispiel: von „seriösen Presseorganen“ (das ist im Augenblick mein Ausdruck) wie der New York Times und The Wall Street Journal – während die eigentliche Wissenschaft dagegen sei – ;oder man spricht von Proselyten, von einem Discovery Institute in Seattle als Think Tank oder als „Führerbunker“, von Medien und von politischen Verbindungen „bis zur Spitze in Washington“, „um die Gesetzgebung zu beeinflussen“. Man könnte also von einer regelrechten Lobby sprechen. Und zwar mit Brechreiz; denn es soll ja um religiöse, und obendrein um wissenschaftliche Impulse und Motive gehen. Wir nannten vorhin außerdem, mit den nötigen Ansätzen zur Nachprüfbarkeit (im 28. Absatz), das Machwerk der Unterscheidung zwischen „intelligent design“ und Kreationisten; und so weiter und so fort. Wir könnten es auch noch etwas konkreter haben, und das Jahr 2020 ins Feld führen, bis zu dem „ID als dominierende wissenschaftliche Theorie herrschen soll“, auf Grund der besagten lobbyistischen Umtriebe (siehe vorhin im 19. Absatz) – versteht ihr spätestens jetzt den Brechreiz? Auch unter Zuhilfenahme der psychologischen Tatsache, dass gerade unreife und unausgegorene Herrschsucht im weiterentwickelten Zustand sehr oft zur fürchterlichsten und unerträglichsten Tyrannei wird. Aber wir schreiben keine Verfassungsschutzberichte; Kreationismus und „intelligent design“ sind inzwischen ein bekanntes und sehr verbreitetes Phänomen, weitgehend auch in Europa; und jeder kann sich von den äußeren Tatsachen sehr leicht selbst ein Bild machen.

(48) Beachten wir stattdessen zum Beispiel die Bigotterie des Kreationismus und des „intelligent design“! Was ist Bigotterie? Blindgläubigkeit, Frömmelei, Scheinheiligkeit, abergläubische Frömmigkeit, Buchstabenglaube. Ich meine ganz genau alles das, einschließlich des Aberglaubens. Die Bigotterie liegt auf der Hand. Aber bedenkt, was hinzukommt, um die Unechtheit der Frömmigkeit, und insofern auch die Bigotterie, unmittelbar begrifflich klarzumachen. Denkt nur an die elende Determination, also an den Ausschluss des „freien Willens“, und an die damit zwingend verbundene ebenso elende Entmoralisierung, die die Konsequenz der so genannten herkömmlichen biblischen Auffassung von der Schöpfung ist. Die fromme Auffassung verneint den freien Willen, meine Freunde, und damit doch wohl alles das, was so einem richtigen Frommen dreimal heilig sein müsste. „Der Herrgott hat uns einen freien Willen gegeben.“ „Gott hat uns frei erschaffen.“ Das ist der dumme Satz; er bedeutet mit absoluter Stringenz und ohne jede auch nur irgendwie denkbare andere Möglichkeit: Gott hat durch determinierende Wirkursache ein „aus sich Selber“ geschaffen. Bei einem fachphilosophisch Gebildeten ist das sträfliche Gedankenlosigkeit. Bedenkt bitte vorhin die Absätze 3 – 5. Die „Erschaffung eines freien Willens durch Wirkursache“ ist widersprüchlich; sie ist ein Widerspruch im Objekt (eine contradictio in obiecto); nur spricht man es nicht aus – weil wir armen Menschenkinder charakterlich nicht in Ordnung sind.
      Kant sagt an der vorhin (im 4.Absatz) zitierten Stelle nach seinem nicht wirklich ernst gemeinten Versuch, die contradictio zu widerlegen, u.a.: „Die hier vorgetragene Auflösung der Schwierigkeit hat aber, wird man sagen, doch viel Schweres in sich und ist einer hellen Darstellung kaum empfänglich. Allein ist denn jede andere, die man versucht hat oder versuchen mag, leichter und fasslicher? Eher möchte man sagen, die dogmatischen Lehrer der Metaphysik hätten mehr ihre Verschmitztheit als Aufrichtigkeit darin bewiesen, dass sie diesen schwierigen Punkt soweit wie möglich aus den Augen brachten, in der Hoffnung, dass, wenn sie davon gar nicht sprächen, auch wohl niemand leichtlich an ihn denken würde.“ „Die man ... versuchen mag“? Nun, wir konnten, anders als Kant gemeint hat, dennoch eine Lösung finden; allerdings mussten wir dafür die göttliche Wirkursächlichkeit bei der Schöpfung aufgeben.
      Im Übrigen sagten wir schon, es sind nicht nur „die dogmatischen Lehrer der Metaphysik“; der Einwand hat auch seine Popularität. Aber das ficht schlechte Vertreter der Kirche nicht an. – Und warum sind Determination und Entmoralisierung „elend“? Weil sie jede Aussicht auf einen auch nur einigermaßen erträglichen Gottesglauben zunichte machen und ihre zwingenden Prämissen dennoch ständig so wiederholt werden, als ob nichts wäre.

(49) Meine Freunde, wie öde ist es, sich durch die herkömmliche Auffassung vom biblischen Schöpfungsbericht, die inzwischen kompromittiert und auszuwechseln und folglich ausgeleiert ist, um diesseitiger Vorteile willen bei Gott Liebkind machen zu wollen! Auch das fällt unter die „Bigotterie“. Und wie unerträglich wirkt eine solche Propaganda erst, wenn jemand nicht einmal an Gott glaubt, wenn er gerade davon besonders weit entfernt ist und dennoch der Welt unter Berufung auf ihn durch seine Schreiberlinge und Nachschwätzer weiszumachen versucht, dass man selbst und seine Leute dazu berufen seien, sie zu beherrschen; denn um Weltherrschaft, um die „manifest destination“ oder „vocation“ (so oder ähnlich), kurz und gut: um verächtliche Herrschsucht, geht es letzten Endes bei dem gesamten Dreck; darauf können wir uns verlassen. (Siehe Absatz 19). – „No man is good enough to be another man´s master” „Niemand ist so gut, dass er der Herr eines anderen Menschen sein sollte“, sagt ein englisches Sprichwort; und daraus wage ich mit halsbrecherischer Kühnheit zu schlussfolgern: “No man, no clique, is good enough to be the whole world´s master” „Kein Einzelner, keine Clique ist so gut, dass sie der Herr der ganzen Welt sein sollte“.


Geistesgeschichtlicher Kitsch.


(50) Was Geistesgeschichte ist, wissen wir, vorausgesetzt, dass wir ein bisschen das sind, was man „gebildet“ nennt. Aber auch, wer das nicht ist, kann versuchen, sich bei solchen Gelegenheiten wie der jetzigen aus dem Zusammenhang heraus in den Begriff hereinzudenken.
      Was ist, wenn jemand eine geistige Richtung in ihrer Eigenschaft als Geschichte, mit falschem Predigerernst aufgreift und damit um sich wirft, so wie gewisse Leute es z.B. in den 50ger Jahren besonders gern mit dem „christlichen Abendland“ taten, in der mehr oder weniger bewussten unlauteren Absicht, dass andere einen solchen Geist – nicht etwa zutiefst für lebendig halten sollen, das ist unmöglich! – aber dass sie sich davon doch imponieren lassen? Die innerlich abhängigen Zuhörer, sozusagen die geistigen Plakatkleber, empfinden dabei ein gewisses Entzücken; aber tief drinnen spüren sie, dass etwas nicht stimmt; das heißt, ihr seelischer Zustand ist etwas, das man meiden muss. Das, meine Freunde, ist geistesgeschichtlicher Kitsch. – Ein Romantiker zum Beispiel ist etwas anderes: seine Sehnsucht nach den Schätzen der Vergangenheit ist echt; nur sein Glaube daran ist problematisch geworden. – Und die Burschen, die das Falschgeld des geistesgeschichtlichen Kitsches in Umlauf bringen? Verfolgen in aller Regel irgendeinen höchst banalen,kleinlichen, egoistischen oder besten Falls irgendeinen praktischen Zweck. In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts musste man geradezu alarmiert aufhorchen, wenn jemand penetrant tönende Tiraden vom „christlichen Abendland“ herunterleierte. Der Mann wollte Wähler für die CDU gewinnen; oder er war Universitätslehrer und wollte Geld für gewisse Fächer oder Abteilungen. Nicht für die theologische Fakultät; dann hätte er mehr oder weniger diplomatisch, mehr oder weniger indirekt, vom Glauben gesprochen, statt vom „christlichen Abendland“; wir wissen ja, deine Sprache verrät dich. Man sieht, was an der Sache faul ist, an diesem ganzen statisch-historischen Aberglauben – statisch insofern, als man geschichtliche Seelenzustände nicht festhalten kann; einige von ihnen können dauerhaft werden; aber: Durch die CDU ist das Abendland jedenfalls nicht christlich geworden, wie wir inzwischen gemerkt haben; auch nicht durch Tauziehen um Gelder an der Universität. Und dasjenige, was zu seiner Christlichkeit beitragen könnte – was meine ich damit wohl? Es ist mehrerlei – hat man bisher nicht mit dem Kitschetikett des „christlichen Abendlandes“ geziert.

(51) Weitere Lehrbuchbeispiele für geistesgeschichtlichen Kitsch liefern uns die Anhänger des intelligent design. Wie könnte es anders sein? Und so können wir bei ihnen denn auch ganz ohne Risiko auf die gerade genannten Beweggründe schließen. Weekendavisen schreibt (am 4.8.05 auf Seite 1): „Der Führerbunker für die Verbreitung der Idee vom intelligent design ist der konservative thinktank Discovery Institute in Seattle. Das Institut wird von evangelischen Christen geleitet, und seine wirtschaftliche Förderung, die beträchtlich ist, geht vorzugsweise von gleichgesinnten Mäzenen und Fonds aus. Wie das Institut einzuordnen ist, geht auch in aller Deutlichkeit – aus dem allmählich notorisch gewordenen Wedge Document dem Keildokument hervor. Einem verhältnismäßig kurzgefassten mission statement, das 1999 ins Internet durchsickerte.
     „Die Annahme, dass der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen sei, ist eines der grundlegenden Prinzipien, auf denen die westliche Kultur aufbaut,“ schreibt man gleich anfangs. Im zweiten Abschnitt jammert man über den wissenschaftlichen Materialismus und erklärt ihm den Krieg. „Denker wie Charles Darwin, Karl Marx und Sigmund Freud stellten den Menschen nicht als moralisches und geistiges Wesen dar, sondern als Tier oder Maschine (...), dessen Verhalten und Gedanken von den eisernen Gesetzen der Biologie, der Chemie und der Umwelt diktiert werden.“ „Die kulturellen Konsequenzen des Triumphes des Materialismus haben zerstörerisch gewirkt. (...)... Das Discovery Institutes Center für die Erneuerung von Wissenschaft und Kultur versucht nichts Geringeres als, den Materialismus und sein kulturelles Erbe zu besiegen.“
Soweit der geistesgeschichtliche Kitsch.
     Und die Motive sollen nun also banal, kleinlich und egoistisch sein – wie ich es vorhin für die Initiatoren des intelligent design behauptet habe? Das sagen sie selbst; natürlich nicht direkt; aber sie sagen es eindeutig: Es muss ein Keil in den massiven Stamm des Rationalismus getrieben werden, fährt das Dokument fort. Proselyten müssen gemacht werden, es müssen Konferenzen und Seminare abgehalten werden, den Medien müssen wir die Türen einrennen, und die politischen Verbindungen des Institutes – die nach Barbara Forrest sehr ausgedehnt sind und bis in die Spitzenkreise in Washington hinaufreichen – müssen ausgenützt werden, um die Gesetzgebung zu beeinflussen. Es muss unser Ehrgeiz sein, dass das ID das intelligent design im Jahre 2020 als die dominierende „wissenschaftliche“ Theorie herrscht. Eines der Teilziele, für die das Discovery Institute sich einsetzen will, besteht darin, im Laufe des Jahres 2003 eine größere öffentliche Debatte zwischen ID-Anhängern und Darwinisten zu erreichen. Alles klar! Ist jemals ein echter Wissenschaftler so vorgegangen? Oder ein Apostel, gleichgültig, ob es einer von den Zwölfen war oder ob er danach gelebt hat? Die Motive bei den ID-Leuten müssen unter beiden Gesichtspunkten unsachlicher Art sein. Genügt das noch nicht? Gut! Die innersten Kreise der Hochfinanz, die auch das „intelligent design“ fördert, denken atheistisch; wir wissen das ganz genau, weil sie bisher den Atheismus eindeutig gefördert haben; das muss genügen. Welches sind also die unsachlichen Motive beim „intelligent design“? In der Hauptsache dieses eine: sich in den Augen der Welt zum auserwählten Volk zu machen, das von dem „intelligenten Planer“ zum andauernden Völkermord determiniert worden ist – Beweis: die Vergangenheit – und das infolgedessen die heilige Sendung hat, über alle anderen absolut zu herrschen, einschließlich des Rechtes, darüber zu bestimmen, welche Völker weiterleben dürfen und welche gefälligst selber daran mitzuwirken haben, dass sie durch Tötung, durch Überfremdung oder durch Geburtenverhinderung mittels Neurotisierung durch die Medien ausgerottet werden.

(52) Wir sprachen von geistesgeschichtlichem Kitsch. Natürlich liegt das vor, wenn „der Mensch als Ebenbild Gottes, worauf die westliche Kultur aufbaut“, und wenn ebenso der Sieg über den „wissenschaftlichen Materialismus“ sowie der Mensch nicht als „Tier oder Maschine“, sondern als „moralisches und geistiges Wesen“ – wenn also ein solches ausgeleiertes Edelprogramm, einschließlich der „Erneuerung von Wissenschaft und Kultur“ und im Gegensatz zu den „eisernen Gesetzen von Biologie, Chemie und Umwelt“, ausgerechnet mit Lobbyismus durchgesetzt werden soll, mit dem Einrennen von Türen bei den Medien und mit einer kindischen Frist, dem Jahr 2020, für die Herrschaft von „intelligent design“ als dominierender „wissenschaftlicher“ Theorie – und das alles letzten Endes von Seiten eindeutiger Atheisten. Solche psychologischen Argumente besagen durchaus etwas über die Sache, die von den betreffenden Psychen betrieben wird.


Die direkten Argumente und eine erste Konklusion.


(53) Wir können es aber auch direkter haben, mit Argumenten, die sich unmittelbar auf die Sache richten. Sehen wir uns eben diese Sache einmal an (vorhin im zweiten Abschnitt des 51. Absatzes)! Die ID-Leute sind dagegen, dass „Verhalten und Gedanken“ des Menschen „von den eisernen Gesetzen der Biologie, der Chemie und der Umwelt diktiert werden“. Und wie will man das vermeiden? Indem man sich an die herkömmliche Auffassung vom Schöpfungsbericht der Bibel hält, wonach, liebe Freunde – wonach der Herrgott uns durch Wirkursache geschaffen hat; die immer und ausschließlich determinierend wirkt; die also ganz genau die angeblich nicht gewollten „eisernen Gesetze“ schafft; mag auch der Herrgott selber so undeterminiert sein, wie er will; und mag er auch „Geist“ sein, so sehr er will. Siehe vorhin am Anfang (den 3. - 5.Absatz); siehe dort auch die fürchterlichen Schwierigkeiten, die man seit den Zeiten des Apostels Paulus damit gehabt hat, obwohl man sich die Sache nie eingestanden, geschweige denn Konsequenzen gezogen hat. Was ist demnach determiniert? Die gesamte Schöpfung selbstverständlich, unter anderem ganz bestimmt auch die Biologie und Chemie unseres Leibes! Eben das aber wollte „intelligent design“ doch gerade verhindern. Es geht nicht erbärmlicher! Das Ganze ist nur ein unendlich ausgeleiertes Klischee aus der „guten alten“ Zeit. Unschöpferisch bis zum Exzess! Typisch amerikanisch, vor allem, wenn es um geistige Dinge geht.
      Natürlich hat es Ausflüchte gegeben, in früheren Jahrhunderten, als man sich mit solchen Dingen noch Mühe gab. In dieser oder jener Hinsicht sollte die Wirkursache eben doch nicht zwingend wirken – eine Sonderregelung für die Theologie, in anderen Wissenschaften galt sie nicht! Die Ursache wirkt also in gewisser Hinsicht nicht zwingend? Das ist gleichbedeutend damit, dass es in dieser Hinsicht zwischen Ursache und Wirkung keine Verknüpfung gibt; und das wiederum bedeutet, dass die Ursache insofern überhaupt nicht wirkt – sollte sie dann nicht auch gleich gar nicht wirken? Soweit sie aber nicht wirkt, sind wir „aus uns selber“. Entweder wir sind determiniert; oder wir sind „aus uns selber“; eine dritte Möglichkeit gibt es nicht (tertium non datur); die Ideologie vom „intelligent design“ jedoch will in ausdrücklicher Weise ganz sicher keine der beiden Möglichkeiten.
     Und die „Umwelt“, von deren „eisernen Gesetzen“ wir durch das „intelligent design“ ebenfalls befreit werden sollen? Gott hat laut ID alles geschaffen (siehe, wie gesagt, vorhin den 3. – 5. Absatz) und zwar aus dem Nichts, anders als innerhalb der Natur; er hat also alles so gründlich und lückenlos determiniert – auch das Verhältnis zwischen uns und der Umwelt – dass die gerade erwähnten Ausflüchte schon deshalb völlig nichtig sind, laut „intelligent design“! Und was soll der Mensch, ohne das „intelligent design“, sonst noch sein? Eine „Maschine“! Gerade das aber ist er nach eben diesem „intelligent design“: der „intelligenten Planung“ durch Gott mit sich anschließender göttlicher Wirkverursachung „aus dem Nichts“, die uns lückenlos determiniert. Genau dasselbe gilt für den Menschen als „moralisches Wesen“: Da er determiniert ist, und zwar infolge des göttlichen „intelligent design“, verbunden mit lückenloser göttlicher Wirkverursachung, ist er auch nicht moralisch, weder im guten noch im bösen Sinne: er trifft keine moralischen Entscheidungen. Und wie ist es mit dem Menschen als „geistigem Wesen“, auf der Grundlage des „intelligent design“? Soweit der Geist auf dem Intellekt aufbaut, stört uns der „designer“ nicht; soweit er aber auf dem Willen aufbaut, sehr wohl: Auf der Grundlage des „intelligent design“, der „intelligenten Planung“ des Menschen durch Gott, und der damit verbundenen Schöpfung durch determinierende Wirkursache, obendrein noch „aus dem Nichts“, hat der Mensch keinen Willen, nämlich kein „dynamisches aus sich Selber“; ich vertraue dafür auf das Gedächtnis des Lesers oder darauf, dass er den letzten Abschnitt von Absatz 9 noch einmal liest. Soweit der Mensch aber keinen Willen hat, ist er kein moralisches Wesen; das müsste den Frommen schon genügen, um die Sache unbedingt fallen zu lassen (das heißt, bei Calvinisten weiß ich das nicht so ganz); und insoweit ist er auch kein „geistiges Wesen“, so wie der Begriff bisher vom Sprachgebrauch festgelegt war. Und dann der „wissenschaftliche Materialismus“! Auch ihm „erklären“ die edlen, tapferen ID-Leute „den Krieg“; sie kämpfen gegen eine Welt von Feinden. Hätte man nur mehr Tapferkeit bei der Selbstüberwindung gehabt, die es kostet, wenn man genauer nachdenkt! Dann wäre ihnen schon eingefallen, dass gerade das göttliche „intelligent design“, verbunden mit der göttlichen Wirkursache („aus dem Nichts“), die Determination von allem und jedem zur Folge hat; und das bedeutet doch wohl eine materialistische Auffassung von der gesamten „Schöpfung“, einschließlich jedes einzelnen Menschen. Was hat man denn sonst gegen den Materialismus? Wäre man denn zufrieden, wenn die Materie denken könnte, aber determiniert wäre? Man denkt für keine 10 Pfennig nach, in „Gottes eigenem Land“ braucht man keine Genauigkeit, geschweige denn Originalität; und dächte man nach, und hätte man die Ergebnisse, so würde man trotzdem weiterreden wie bisher. „Alles ist durch Gott determiniert“ – man impliziert es nur, und sagt es nicht – diese Art von Bibeltum könnte gerade eine der wichtigsten historischen Quellen des Materialismus sein!

(54) Aber bitteschön! Man denkt an die Schönheit des Kirchengebäudes von innen, an den feierlichen, erhebenden Gottesdienst, verklärt von der Orgel und vom Sonnenstrahl, der durchs Kirchenfenster dringt, vom Gemeindechoral, von der getragenen Stimme des Pfarrers und seinem sauber gewaschenen Beffchen, von der Bibel im Allgemeinen und vom Schöpfungsbericht im Besonderen, der die Grundlage von all dem zu sein scheint; der so herrlich urweltlich feierlich ist und am weitesten davon entfernt, uns an unser damals noch nicht eingetretenes Versagen und an die Notwendigkeit einer Erlösung zu erinnern – und kraft dessen uns Gott als ewiger Geist vor Augen steht, der uns, so frei er selbst auch ist, nach seinem göttlichen Plan, in seiner göttlichen Weisheit als „geistige Wesen“ erschaffen hat; und siehe, auch das war sehr gut! So sehr er uns damit auch determiniert hat, was geht uns das an? Wie könnte unter solchen Umständen an uns noch irgendetwas auszusetzen sein? „Der Herrgott hat uns so erschaffen.“ Wie kam es nur dazu, dass Adam sündigte, nachdem Gott seine Natur festgelegt hatte, indem er ihn „erschuf“? Ist es so schwer, auf den Widerspruch zu kommen, der darin liegt, oder ihn nicht zu verdrängen? – Die Gedanken wenden sich der Schönheit des Kirchengebäudes auch von außen zu. Man denkt an die Gottesstreiter, an Amerika als Theokratie; denn das ist angestrebt mit dem „intelligent design“. Und man hat religiöse Gefühle. Und wehe uns, wenn beides, US-Religion und -Theokratie ihre Dummheit und Schlechtigkeit erst voll und ganz entfalten können! Man ist gewissermaßen entzückt in „Gottes eigenem Land“.
     Meine Freunde! Meine Brüder! Das ist geistesgeschichtlicher Kitsch, wenn er am schlimmsten ist. Der Verstand, die Ratio, sagt uns genau das Gegenteil. Herrscht etwa die Dummheit in „Gottes eigenem Land“. Man sagt: „Es herrscht dort Misstrauen gegenüber dem Intellektuellen.“ Und vielleicht sehen wir jetzt gleich, warum. Jedenfalls: Bin sehr beeindruckt! Der Satz ist auch wohl so ein goldenes geistesgeschichtliches Gefäß. Aber eines ist er auf keinen Fall, ein Grund zur Nachsicht. Ich würde ganz simpel und hanebüchen sagen, man hält in „Gottes eigenem Land“ das Volk absichtlich dumm, damit es seine Völkermorde und seine übrigen Verbrechen ohne Schwierigkeiten fortsetzt. – Oder bin ich nur nicht weise genug, und richtet sich das Misstrauen der Amerikaner etwa nur gegen Halbintellektualität und Pseudowissen? Schon möglich, sie sind ja nahe genug daran; sie haben ihre modernen Ideen und ihre Oberflächlichkeit.

(55) Was ist gemeint? Ich gebe zunächst nur ein Beispiel; aber jeder wird den Zusammenhang mit dem bisher Gesagten spüren, nein, erkennen. Die US-Amerikaner haben es gar nicht nötig, in begrifflicher Hinsicht auch nur einen Funken nachzudenken. Was ihnen zuerst einfällt, was sie „immer schon gedacht haben“ – es gibt da so einen Anklang in ihrer Unabhängigkeitserklärung – das ist auch richtig. Gott hat sie privilegiert. Wodurch? Durch den Erfolg. „Es ist nichts so erfolgreich wie der Erfolg.“ Worin bestehen die Erfolge? In der Ausrottung der roten, in der Versklavung der schwarzen Rasse! In Massenausrottungen überhaupt! In Völkermorden und zumindest einmal schon in der Ermordung eines ganzen Volkes: Hawai ist amerikanisch – und schon sind von 300000 Hawaianern, die es einmal gab, nur noch wenige tausend übrig. Die Erfolge bestehen in Eroberungskriegen, in atomarer Vernichtung, von Hiroshima und Nagasaki! In einer endlosen Kette von Kriegen, ohne jemals angegriffen zu sein! Wie überlegen und erhaben! Das kommt uns doch bei ihnen so schick und so OK vor. Wir finden die Erfolge in der Publikation und in dem Anfang der Ausführung von schriftlichen Völkermordplänen und Völkermordpropaganda gegen unser Vaterland, durch Morgenthau, Kaufman, Hooton und Nizer. Und seitdem bis heute in ununterbrochener Hetze gegen alles Deutsche: in den Vereinigten Staaten und bei uns, durch ihre Lakaien in der Schule, in den Medien oder sonstwo, Tag für Tag, Abend für Abend – wir sind ja ein besetztes Land. Und alles das bis heute völlig ungestraft! Gott hat die Vereinigten Staaten damit geehrt und privilegiert. Bestehen hier moralische Bedenken? Dann überlege man, was wir über Gott und die Moral in calvinistischen Gedankengängen sagten; und über das calvinistisch inspirierte „intelligent design“. Und ob wir nicht, meine Brüder, schließen müssen, dass die innersten Kreise bei ihnen in einigen Punkten sehr zusammenhängend und sehr hinterhältig denken.

(56) Aber es wäre ja wohl noch schöner, wenn wir es nicht ganz direkt sagten! Was haben wir denn über den Zusammenhang zwischen Gott und der Moral innerhalb gewisser weltanschaulicher Vorstellungen unter anderem gesagt? (Man lese bitte noch einmal oder man erinnere sich vorhin an Absatz 3 und 4.) Wir haben gesagt, dass Gott uns, gemäß dem „intelligent design“ und laut herkömmlicher Bibelauslegung, bis ins Letzte determiniert hat und dass wir Menschen hiernach infolgedessen ohne Schuld und Fehle sind. Und was machen daraus die Neocons und erst recht die innersten Kreise in den USA? Sie wenden den Satz vor allem auf ihre eigenen Massentötungen an, von der Zeit der Indianer bis heute. Sie, die innersten Kreise, denken bei dem Wort „Gott“ nicht an den Gott der Christen und auch nicht an den der Juden; sie denken bei ihm ausschließlich an die Natur, die physische Welt, an ihre und so denn auch an unsere Determination; „Deus sive natura“ „Gott oder auch die Natur“, das hat Spinoza gesagt. Und sie bedauern durchaus nicht die von ihnen begangenen massenhaften Tötungen, sie betrachten sie als Zeichen der naturgegebenen Überlegenheit ihrer eigenen „Nation“, ihrer eigenen Schicht und Clique; und so finden sie es denn auch in Ordnung, dass diese „Nation“ die Welt mit ihren atomaren Waffen xmal vernichten kann. Die Natur, das All, das gesamte Sein hat die US-Amerikaner priviligiert, es hat sie zu Massenexterminatoren gemacht; und das ist gut und richtig, so wie es ist. Und was soll sich nach den Vorstellungen der innersten Kreise der USA das ihnen untergebene Volk bei der Sache denken? Es soll – im Kern! – dasselbe denken wie sie: die Tötungen, die Eroberungen sollen weitergehen; aber da das Volk, die einzelnen Völkerbruchteile in den USA, mehr oder weniger schwach sind und nicht dem Ideal der Neocons von den herrlichen Bestien im Sinne Nietzsches entsprechen, braucht jeder Einzelne von ihnen sein Quantum an Selbsttäuschung und anderen Illusionen; an so genannter „Religion“; und dieses Quantum soll er sich, nach seinen individuellen Bedürfnissen, mit religiöser Verbrämung in Gestalt des „intelligent design“ mit dessen so genannter herkömmlicher Bibelauslegung verschaffen. „Der Herrgott hat euch so gemacht.“ Wie ihr seid; und nicht wie ihr sein sollt. Das sind die Gedanken der innersten Kreise in den USA.

(57) So entspricht es – um daran zuerst zu erinnern – den Zusammenhängen, die wir jetzt durchlaufen haben; es passt psychologisch zu den einzelnen Kriterien, die wir (ab Absatz 45) zu Hilfe nehmen wollten: zu dem idiotischen Zerrbild von der Entwicklung: als wäre sie ein Puzzlespiel über Jahrhunderttausende hinweg; so entspricht es der Lobby mit ihren „Beziehungen“ und ihrem Brechreiz, zugunsten einer Idee, die wissenschaftlich und religiös sein soll; es entspricht der Ausnützung der Bigotterie des Volkes mit ihrer elenden Determination und der beabsichtigten Propagandawirkung für die „manifest destination“ der US-Nation. Und so passt es schließlich auch zu dem geistesgeschichtlichen Kitsch des Kampfes für den „Geist“, mit Hilfe des dem Geist entgegengesetzten Determinismus, so wie wir es zum Schluss im Einzelnen und ganz direkt verfolgen konnten. Vor allem aber, meine Brüder, wir wissen, dass jene innersten Kreise areligiös und atheistisch sind; sonst hätten sie nicht seit eh und je Atheismus und Areligiosität allüberall, in der Medien- und in der Bücherwelt, massiv gefördert. Aus solchen Kreisen aber geht keine echte religiöse Bewegung hervor! Und noch eins: eine wirkliche religiöse Bewegung beschränkt sich nicht auf den mosaischen Schöpfungsbericht! Er ist nicht schlecht, als eine erste urweltlich poetische Übung! Das beweist das geniale, quasi vorerbsündliche Naturburschentum, mit dem Haydn ihn vertont hat; aber von diesem Wesen allein geht keinerlei auch nur irgendwie lebendige und wahre religiöse Innerlichkeit aus. Und daher denn auch die Indulgenz der Grünen und ähnlicher Leute, einschließlich Geistlicher mit schlechtem Gewissen, für die „Schöpfung“ und den „Schöpfer“; hier glaubt man mit dem lieben Gott immerhin noch eins zu sein, obwohl dieser Trost wie so mancher Trost mit der Realität sehr wenig zu tun hat. Und passt es nicht dazu, meine Brüder, dass uns nie ganz wohl ist, wenn der erwähnte Naturbursche mit seiner Musik auftragsgemäß in das religiöse Allerheiligste einzutreten sucht? Dass er dann jedes Mal übertreibt! Dass es aber die falschen Seiten des religiösen Gefühls sind, die er übertreibt. Dagegen: wir haben es vorhin vielleicht nicht ausgesprochen; aber jeder, meine Brüder, wird sehr leicht sehen, was alles sich mit der Innerlichkeit des „aus sich Selber“, der Ethik und der Verantwortung verbinden ließe, des „aus sich Selber“ mit seiner schweren Fehlerhaftigkeit – ich meine die ganze Menschheit – um uns diese beiden letzteren Punkte ganz bewusst nur kurz und knapp in die Erinnerung zu rufen.
     Und die „Konklusion“? Meine Freunde: das „intelligent design“ gibt sich als etwas anderes aus, als es ist. Es gibt einen anderen Zweck vor, als es wirklich hat. Nichts anderes nämlich als die Fortsetzung jener nicht enden wollenden US-Blutspur, die ganze Völker vernichtet und die wir gerechterweise soeben wieder in Erinnerung gerufen haben, ist nach dem Willen der innersten Kreise der USA der Sinn und Zweck der neuen Bibelfrömmigkeit, des Kreationismus, mit der zu eben dieser Vernichtung angeblich determinierenden göttlichen Wirkursache, getarnt auch das schon wieder unter der bewussten Minimalbezeichnung des „intelligent design“. – „Man muss nicht immer gleich das Schlimmste annehmen,“ lässt eine gütige Weisheit sich vernehmen. Hat jemand gesagt, dass man das muss? Man muss es weder „gleich“, noch muss man es überhaupt – wenn man keine zusätzlichen Gründe dafür hat. Aber man muss akzeptieren, was logisch und folgerichtig ist. Ich bin nicht so perfide und spießig, die US-Logik nur deshalb zu verschweigen, weil sie zu dem Schrecklichsten und Fürchterlichsten gehört, was es in der menschlichen Geschichte gegeben hat – und auch weiterhin geben wird, wenn wir ihre Ziele nicht verhindern.


Über den US-Calvinismus.


(58) Alles Klar? Nein! Wir haben soeben (in Absatz 56) den Calvinismus erst teilweise und in Gestalt einer Art Pseudo-Calvinismus ins Auge gefasst: nämlich die US-Gräuel zunächst als Ergebnis des spinozistischen „deus sive natura“ „Gottes oder auch der Natur“, also nicht Gottes, sondern der Natur – wir sind ja nicht schwachsinnig!: die Natur ist hier angeblich vollständig determiniert und determiniert infolgedessen auch alles und jedes; oder auch umgekehrt: sie determiniert alles und jedes und ist infolgedessen auch selbst vollständig determiniert – kommt das jemandem unklar oder widersprüchlich vor? Kein Wunder! Wir kommen noch darauf zurück – . Also, es ging um die US-Gräuel als Ergebnis der so beschaffenen, determinierenden und angeblich zugleich determinierten Natur, und zwar dieses Mal der Natur in Gestalt der US-Amerikaner, der Nation mit der „manifest destination“, des auserwählten Volkes. Bildet euch ja nichts ein, ihr Thoratreuen Juden! „Und sie sahen alles, was sie angerichtet hatten. Und siehe, es war sehr gut“; das ist die US-Vergangenheitsbewältigung, und das ist zugleich der Schöpfungsbericht in Gestalt des wahren „intelligent design“. Strengen wir unseren Kopf mal richtig an, wir Nicht-Amerikaner! Und verstehen wir nicht wie die Idioten alles so, wie es gesagt ist! Die Amerikaner sind schließlich Praktiker – auf einer theoretischen Grundlage, die ein für allemal unabänderlich ist, bis zur absoluten Stupidität – sie schwärmen aber trotzdem nicht in diesen theoretischen Grundlagen herum, in irgendwelchen fernen oder für die Menge verschlossenen Bereichen, z.B. im Schöpfungsbericht, als Gott sprach „Es werde Licht“ usw.; sondern sie meinen ganz nahe liegende Bereiche in ihrer eigenen Geschichte. Es ist mit diesem Unterschied ungefähr so wie mit dem zwischen Schreibweise und Aussprache im Englischen.

(59) Soweit also der soeben (in Absatz 56) ins Auge gefasste Teil des Calvinismus, man könnte auch sagen: des Calvinismus für das Volk und des Spinozismus für die innersten Kreise. Und das Ganze des Calvinismus? Ursprünglich war es nicht die Natur, die die Menschen determinierte, sondern Gott. Luther hatte es erst richtig angefangen, in unserem abendländischen geistigen Bereich; Augustinus hatte ebenfalls schon in dieser Richtung gedacht, aber nicht mit abendländischer Gründlichkeit und Konsequenz; und Thomas war ihm in vielem gefolgt, jedoch, ohne sich unbedingt durchsetzen zu wollen. Luther nun aber glaubte endgültig und ein für allemal zu spüren, der Mensch schafft es nicht (die Gebote zu halten), auch nicht mit der Gnade Gottes, es sei denn mit einer allein bestimmenden, also determinierenden Gnade, oder auch durch bloßes Zudecken der Sünde, woraus dann die ewige Seligkeit hervorgehen konnte. Insofern hatte Luther mit der Determination durch Gott angefangen. Gott hilft dem Menschen zu glauben, zu vertrauen. Das tut der Christ, vielleicht wirkt er hier selber noch ein bisschen mit; Luther war immer noch nicht ganz konsequent. Den Rest aber besorgte Gott. Daraus machte Calvin die vollständige Determination des Menschen durch Gott. Zum Guten und zur ewigen Seligkeit. Folglich aber, logisch zwingend,auch zum Bösen und zur ewigen Verdammnis; es war die nunmehr vollständig konsequente praedestinatio gemina, die Zwillingsprädestination, die doppelte, zweifache Prädestination; denn aus der Schrift wusste man ja, dass nicht alle Menschen selig werden. Das heißt, Gott schuf durch Wirkursache, bestimmte hiernach also, prädestinierte hiernach also, determinierte hiernach also: den einen Teil der Menschheit von vornherein für eine ewige Seligkeit und den anderen Teil ebenso direkt und gradlinig für eine ewige Unseligkeit, Qual und Verdammnis. Wo blieb dabei die Gerechtigkeit Gottes, von irgendeiner Güte ganz zu schweigen? Überhaupt, wo blieb dabei die Moral? Die Moral versteckte sich, alles in allem, angeblich in der „Freiheit Gottes“; das heißt, es sollte Gott freistehen, so zu handeln. Sehen wir nun zur Moral zunächst vorhin den Anfang des 5. Absatzes; und unterlassen wir alles übrige, überflüssige Gerede (siehe hierfür den zweiten Abschnitt von Absatz 5), das sowieso von keinem wirklichen Denker ernst genommen wird – ganz davon abgesehen, dass wir im zweiten Abschnitt von Absatz 9 sachlich darauf eingegangen sind. Das heißt: wir haben „das moralische Gesetz in uns“, in Kants prachtvoller Formulierung; und danach stand es Gott nicht frei, so zu handeln (physisch konnte er es, insofern stand es ihm frei; aber moralisch durfte er es nicht, insofern stand es ihm nicht frei); hätte es ihm aber freigestanden, so hätte das insoweit nichts anderes als die Aufhebung des moralischen Gesetzes bedeutet; wobei es völlig gleichgültig ist, ob Calvin unter einer solchen Voraussetzung von einer göttlichen Moral noch irgendwelche Fassaden übrig gelassen hat: etwa mit der faulen Ausrede, die ich später bei den Jansenisten gefunden habe „gerecht, aber verborgen“ „juste mais caché“; oder mit der ebenso faulen Ausrede von besagter „Freiheit Gottes“ – Sankt Peter hatte für solche Dinge in anderen Zusammenhängen die herrliche Wendung: „die Freiheit zum Deckmantel der Bosheit machen“. Und was wäre die Moral nach all dem für uns? Calvin ließ vielleicht noch die genannten und einige andere äußerliche Reste moralischen Verhaltens übrig: den tugendhaften Lebenswandel, ein „heiliges Leben“ (für solche Ausdrücke war man bigott genug) usw.; aber um eigentliche, echte, wirkliche Moral konnte es sich dabei nicht handeln, weil wir ja determiniert sein sollten. In jedem Falle aber – ob determiniert oder nicht – die Moral, unsere Moral, die Frage, ob wir die moralischen Normen erfüllten oder nicht, spielte für unser Schicksal nach dem Tod, für die Frage, ob wir selig oder unselig werden sollten, und auch für unseren Wert als Christen nicht die geringste Rolle; wir kennen es ja – soviel Italienisch können wir alle – : das düstere Wort von der „salvezza di Cesare Borgia“ und von der „condanna di San Francesco“; für einen richtigen Calvinisten war beides ganz ausdrücklich durchaus denkbar. Die Moral hatte nur eine einzige Bedeutung, nämlich, dass wir uns vor allem Gott gegenüber auf keinen Fall auf sie berufen dürften; und dass eines unserer schlimmsten Vergehen in einer solchen Berufung auf unser moralisches Verhalten bestand. – „Was fruchtbar ist, allein ist wahr“; da war Goethe immer noch besser.

(60) Also: Gott, Mensch, Determination des Menschen oder so gut wie Determination, jedenfalls Determination im Ergebnis; und: Ausschaltung der Moral, der wichtigsten Funktion unserer Innerlichkeit, unseres aus uns Selber, also unserer Nichtdetermination; oder auch hier: nur so gut wie, und im Ergebnis – ich habe nämlich keine Lust, mich auf unehrliche und rein taktische Haarspaltereien einzulassen – das Ende war jedenfalls determiniert: ewige Seligkeit oder ewige Verdammnis; und der Typus des Lebenslaufes sollte dazu passen, wie wir jetzt sehen werden; also zumindest insofern war auch er determiniert. Und im Übrigen zeigt auch die nun folgende Logik des Gedankenganges, dass es im Wesentlichen so ist, wie ich sage. Nämlich: haben wir mit der Moral, dem wichtigsten Teil und Anwendungsbereich unserer Innerlichkeit, unseres aus uns Selber, und mit der auf ihr aufbauenden Zuversicht, zugleich auch die Früchte unserer gesamten Innerlichkeit, unseres gesamten aus uns Selber, verloren? Ich kenne Zwingli nicht genug, vielleicht würde er sagen: „Nein! da sind noch die Künste“ oder „die Kultur“ oder Ähnliches; ich weiß es nicht. In jedem Falle aber behandelt Calvin, der ja den Haupteinfluss hatte, die Dinge so, als ob wir nun, nach seinen schrecklichen Ergebnissen, keine Innerlichkeit mehr hätten – oder als ob mit ihr jedenfalls nichts anzufangen wäre. Man sehe nur hin, was er dem verängstigten Menschen antwortet, der ihn fragt, woran er erkennen könne, ob er die ewige Seligkeit oder die ewige Qual zu erwarten habe. Calvin antwortet nicht wie das Neue Testament: „Wer den Willen meines Vaters tut ... “ – usw., wir wissen schon – „der wird selig“; sondern: „Wer in dieser Welt, in diesem Leben Erfolg hat – Prototyp: Geldverdienen – der hat Aussicht, selig zu werden; und je voller der Geldbeutel, desto sicherer die Aussicht auf die ewige Seligkeit.“ Dann wäre es immer noch besser gewesen, Luther und die gesamte Reformation wäre gleich bei dem Oberablassprediger Tetzel und seiner Botschaft geblieben: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer springt.“ Der entartete Katholizismus war da immer noch ein Ausbund von rührender,liebevoller Innerlichkeit im Vergleich zum calvinistischen General- und Endergebnis der Reformation. General- und Endergebnis? Ja, wenn man vom reinen Luthertum, das sich hauptsächlich in Skandinavien gehalten hat, einmal absieht. Wir kennen – nebenbei erwähnt – die geistvollen und grundsätzlich sogar richtigen Ausführungen Max Webers zu der Sache, nämlich zum Denken des Calvinismus in Geld; aber darauf kommt es jetzt nicht an. Wir wissen vielmehr ganz genau, der Begründer des Christentums sagt das Gegenteil von dem, was Calvin sagt; er sagt es an zahllosen Stellen; er sagt u.a. (Matth. 19, 24-26): „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Reich Gottes“, wenn er dann auch tröstend hinzufügt, weil seine Jünger erschraken: „Bei den Menschen ist es unmöglich, aber bei Gott ist alles möglich“. Wie ist die unsägliche Abweichung des „Reformators“ vom Neuen Testament zu erklären? Antwort im Wesentlichen, wenn der „Reformator“ auch gar nicht daran gedacht haben sollte – wahrscheinlich hat er es nicht – : Genesis I, Schöpfung des Menschen mit Gott als Wirkursache, also Determination des Menschen, also kein „aus sich Selber“ beim Menschen, also keine Innerlichkeit, keine Moral, ergo die Äußerlichkeit, der Geldbeutel als Kriterium für die zu erwartende ewige Seligkeit oder Unseligkeit. Nicht wie beim armen Lazarus, der am Ende in Abrahams Schoß war; solche Geschichten erzählte ja nur der armselige Nazarener. Alles klar? Schon. Nur müssen wir wissen: Calvin beherrschte, wie gesagt, zu seiner Zeit die geistigen Zusammenhänge wohl noch nicht in dieser Kürze; vielmehr quälte er sich und andere seine ganze unliebe lange „Institutio Christiana“ hindurch mit geistlosen Bibelzitaten als Begründung. Warum waren sie geistlos? Weil man in solchen Fragen mit anderen Bibelsprüchen immer auch das Gegenteil begründen kann; die Begründungen waren geistlos, weil sie stumpf waren.

(61) Also keine Innerlichkeit. Also Äußerlichkeit. Der Geldbeutel ist, wie gesagt, der Prototyp dieser Art von Äußerlichkeit. Man hatte Sinn für das Burleske – natürlich hat man gar nicht bemerkt, dass es burlesk war. Schließlich aber, oder vielleicht auch von Anfang an – ich weiß es nicht, es ist auch vollständig gleichgültig, seit wann es so ist – galten zumindest für den US-Calvinismus auch andere Erfolge: sportliche, technische, künstlerische, geistige, geistig-politische Erfolge jeder Art, wenn es nur Erfolge waren. „Es ist nichts so erfolgreich wie der Erfolg.“ Man kennt den puerilen Ehrgeiz des US-Amerikaners. Am besten natürlich, man verdient auch Geld dabei – um jeden Verdacht auf mangelnde Tugendhaftigkeit, oder besser: „Heilig“keit der Sache auszuschließen. Außerdem aber will man doch wohl, dass die Erfolge echt sind, und nicht nur vorgetäuscht? Freund, da bist du auf einem Abweg; ein solches Bestreben ist moralischer Natur – ich erhebe den amoralischen Zeigefinger! – es bedeutet Innerlichkeit. Auf beides aber darf man sich in keinem Fall berufen! So kommt es bei den allerkonsequentesten Jüngern des Meisters, dem US-Calvinismus, schließlich zum Geist der Täuschung, der Lüge und des Kitsches – Kitsch ist ja außerdem das, was bei den Massen Erfolg bringt, und auf den kommt es ja an; es ist wie beim Geld, und das ist denn ja auch der eigentliche Erfolg – . Brauchen wir noch eigens Beispiele, z.B. für den US-Kitsch, für die Hoffnungslosigkeit der US-Musik, die Kälte und Oberflächlichkeit – und insofern auch wieder die Äußerlichkeit – der US-Literatur, usw.? Oder für US-Geschichtslügen, die notorischen politischen Lügen? Für den Augenblick sind die angeblichen Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins dafür exemplarisch geworden. Für die gesamte US-Geschichte kann man neben zahllosen anderen Beispielen genau so gut die angebliche Absicht Kaiser Wilhelms II. nennen, die ganze Welt zu erobern. Die USA lügen in institutionalisierter Weise; sie sind der Staat mit den „Strukturen der Lüge“. Man hält die US-Bevölkerung absichtlich dumm, so dass sie den absoluten Unsinn trotzdem glaubt; das ist zum Beispiel eine Struktur der Lüge. Außerdem hat man ja, wie gesagt, eine ganze Weltanschauung der absoluten Äußerlichkeit und so denn konsequenter Weise: auch der Lüge. Alles das nenne ich Strukturen der Lüge. Im Übrigen will ich mich nicht in allzu vielen Beispielen ergehen; wir haben ja jetzt die Grundprinzipien. Soll ich den in penetranter, aufdringlicher Weise unbezwinglichen US-Sportler Lance Armstrong nennen, der sieben Jahre lang triumphierte – und dabei gedopt war? Und dabei von allen möglichen offiziellen Institutionen gedeckt wurde, wir sagten ja: „institutionalisierte Lüge“. Oder soll ich die zahlreichen Erfindungen wieder hervorkramen, die nicht einmal eine Mücke waren und aus denen man einen Elefanten gemacht hat? Zum Beispiel den Meteoriten, der dreißigtausend Jahre lang auf der Erde gelegen hatte, dabei Mikroorganismen gesammelt hatte und auf diese Weise, dank der Epoche machenden Entdeckung von US-Wissenschaftlern, die Existenz außerirdischer Lebewesen bewiesen haben sollte? Nur um das menschliche und organisatorische Versagen bei der Olympiade in Atlanta vergessen zu machen! Meine Freunde, der gesamte US-Geist ist ein einziger Geist der Lüge; mit ihr müsst ihr bei ihm jeden Augenblick rechnen, wo auch immer er irgendeinen Erfolg oder Anspruch geltend macht. Je penetranter, je arroganter, desto wahrscheinlicher ist, dass es Lüge ist; das ist das psychologische Kennzeichen. „Lasst euch nicht imponieren!“ das ist ein Kennzeichen zum Abrufen unserer Innerlichkeit! Für den US-Calvinismus ist auch der vorgetäuschte Erfolg ein Erfolg, gerade der vorgetäuschte, denn er ist ja noch äußerlicher und hat noch weniger mit Moral zu tun als der echte. Denkt an den herrlich duftend aussehenden Fernsehputer – duftend! aussehend! – mit dem der US-Präsident zu Weihnachten persönlich die Soldaten im Irak beglückte! Der Puter war aus Plastik! Wahrhaftig, ein Symbol für die US-Äußerlichkeit!

(62) Ist das schon der ganze US-Calvinismus? Wir haben ja vorhin (im 56. und 58. Absatz) einen Teil vorweggenommen: „Und sie sahen alles, was sie“, als „Gott oder auch die Natur“, als „deus sive natura“, an „Völkermorden“ und anderen „Massentötungen“ „angerichtet hatten; und siehe, es war sehr gut“; und das nun als „intelligent design“: denn Gott hatte sie ja so gemacht. Und dieser Teil des Calvinismus war in Wahrheit atheistisch; die inneren Kreise der Hochfinanz verstehen ihn heimlich atheistisch. Nun gibt es einen Gelehrtentyp – ich weiß nicht, ob ich ihn rührend finden soll – für den der Begriff „atheistischer Calvinismus“ eine contradictio in adiecto ist, ein Widerspruch im Adjektiv. Drücken wir uns deshalb so aus: Der Calvinismus war zu Spinozismus geworden, nahtlos in Spinozismus übergegangen; das ist so zu verstehen: Gott hat die Menschen und die übrige Welt durch Wirkursache geschaffen und sie infolgedessen determiniert, wie jede Wirkursache es mit jeder Wirkung tut? Ja! Es heißt ja „Am guten Alten in Treue halten“, und das soll nicht tugendhaft sein? Angesichts dieses tugendhaften Satzes kam Spinoza zu seinen atheistischen Ergebnissen, als ob er Folgendes gedacht hätte: Man hat den Gedanken von der göttlichen Ursache aus der uns umgebenden empirischen Welt genommen, von unseren Töpfern, sonstigen Handwerkern usw.; in diesem Bereich aber ist nicht nur die Wirkung, sondern auch die Ursache nicht frei; hier ist auch sie determiniert; nämlich dazu, die Wirkung hervorzubringen. Für die Natur um uns herum nehmen wir an dem Gedanken auch keinen Anstoß, sondern halten ihn für selbstverständlich (obwohl er nur für die „Erscheinung“, aber nicht für das „Ding an sich“ zutrifft). Und wie ist es mit dem Menschen, der eine Sache herstellt, so wie der Töpfer das Geschirr? Denn so soll ja auch Gott den Menschen geschaffen haben; aus „Lehm der Erde“, der allerdings in Wirklichkeit das Nichts bedeutet. Der Mensch nun aber schafft die Sache nicht aus dem Nichts, wie Gott die Welt; sondern er findet die Bestandteile schon vor; Gott determiniert also schon mal viel gründlicher , doppelt und dreifach sozusagen. Aber darauf kommt es jetzt nicht an. Entscheidend ist jetzt, dass der Mensch die Sache schaffen muss; er ist dazu durch die Motive, die ihn bewegen und die seine Ursachen sind, genau so determiniert wie die übrigen Ursachen, in der Natur um uns herum, durch ihre Ursachen. Sie und er sind nur insofern frei, als beide der raum-, zeit- und ursachenlosen Schicht im „Ding an sich“ angehören, die wir vorhin (im 34. Absatz) beschrieben haben; in dieser ganz entscheidenden, im Grunde allein entscheidenden Hinsicht allerdings sind sie es denn auch. Nun wusste Spinoza von dieser Schicht noch nicht so viel wie Kant, philosophisch wusste er von ihr überhaupt nichts; jedenfalls hielt er nichts von ihr. Umso näher lag für ihn der Analogieschluss, dass Gott als Wirkursache nicht nur die Welt als Wirkung oder Folge determinierte, sondern dass auch Gott selbst als Wirkursache dieser „Schöpfung“ zur Setzung seiner Folgen oder Wirkungen determiniert war – ganz und gar analog zu den zahllosen kleineren Zentren in dieser Welt um Spinoza herum, die ebenfalls nichts als determinierte Ursachen determinierter Folgen sind. Und wir beginnen vielleicht schon jetzt Spinozas „deus sive natura“ „Gott oder auch die Natur“ zu verstehen.

(63) Nun haben wir in dieser unserer Welt oder Natur um uns herum zweierlei Systeme: nämlich erstens die gewöhnlichen endlosen Ketten von „Ursache und Folge, von denen die Letztere wieder zur Ursache wird usw. bis ins Unendliche“; und wir haben zweitens die Systeme der jeweiligen „Substanz mit ihren Eigenschaften (der substantia mit ihren accidentia).“ Aber auch in diesem zweiten System ist die Substanz eine Ursache, und die Eigenschaften sind ihre Wirkungen oder Folgen. Anders kann es nicht sein, wenn wir das System der Determinationen zwischen der Substanz und ihren Eigenschaften bedenken; wobei sich nämlich herausstellt, dass es sich von dem zuerst genannten System nicht wesentlich unterscheiden kann. Mit anderen Worten: wir verstehen jetzt, wieso es Spinoza möglich war, auch das Ursache-Wirkung-Verhältnis zwischen Gott und der Welt im Sinne des zweiten Systems zu verstehen. Also so, dass alles in der Welt, alle Dinge und Wesen in ihr, einschließlich von uns Menschen, nichts als Eigenschaften Gottes sind; und dass Gott nicht mehr und nicht weniger ist als die Subtanz der Welt. Und das Ergebnis: wir verstehen jetzt voll und ganz Spinozas „deus sive natura“ „Gott oder auch die Natur“; mit anderen Worten: Spinozas System bedeutet Pantheismus. Der Pantheismus besagt: „Die Welt ist Gott“. Da wir nun aber die Welt denn doch insoweit kennen, dass wir sie ehrlicherweise nicht für ein vollkommenes Wesen halten können, also nicht für den „einen Gott des Himmels und der Erde“, und da den Pantheisten auch keine Götter vorschweben, können wir, Hand in Hand mit dem allgemeinen Sprachgebrauch, der ja nun einmal unser einziges Verständigungsmittel ist, den Bestand der philosophischen Behauptungen getrost durch die Zusammenfassung vereinfachen: es sei gleichgültig, ob man sagt, es gibt keinen Gott, oder, die Welt ist Gott. Mit anderen Worten, wie wir es die ganze Zeit schon sagten: Spinozas System bedeutet Atheismus – und zwar ausgehend und weiterentwickelt vom herkömmlichen Verständnis des biblischen Schöpfungsberichtes her; mag Spinoza nun persönlich daran gedacht haben oder nicht. Wundern wir uns darüber? Ob wir uns darüber wundern oder nicht: vorhin (im 5. Absatz) haben wir gezeigt, wie man auf dem Weg über die Moral vom biblischen Schöpfungsbericht zum Atheismus kommt; in dem Fall handelte es sich im Wesentlichen um einen Gedankengang des modernen Existenzialismus, während wir es jetzt mit dem alten Spinoza zu tun haben, der zwar einen anderen Weg geht, der aber zu demselben Ergebnis kommt.



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