Hegel.



        Die Philosophie befasst sich mit Gott und der Welt; oder auch mit der Welt und damit, dass es gerade keinen Gott geben soll. Innerhalb des Rahmens der Welt macht die Philosophie vorzugsweise den Menschen zum Gegenstand ihrer Sätze oder „Thesen“: und zwar das Dasein des Menschen als solchen in dieser Welt sowie sein etwaiges Dasein außerhalb ihrer.
        Die Religion hat ähnliche Gegenstände; nur ihre Methoden und Schwerpunkte sind weitgehend anders. Und sie nennt ihre Sätze oder „Thesen“ in vielen Fällen gern Glaubenssätze.
        Die Politik gehört ebenfalls in diese Reihe; nur mit dem Unterschied, dass bei ihr die Praxis unverhältnismäßig stark überwiegt. Dennoch, auch sie stellt Sätze auf, über Welt und Menschen, auch sie hat „Thesen“; und zwar tragen einige von ihnen einen Ewigkeitswert auf der Stirn, der mit dem der beiden anderen Wissensgebiete uneingeschränkt wetteifern kann.
        Natürlich gibt es noch zahllose weitere Wissensgebiete mit „Thesen“; aber die drei genannten, und vielleicht noch das eine oder andere in der einen oder anderen Hinsicht, haben besonders große Berührungsflächen mit dem allgemein Menschlichen.
        Also, Philosophie, Religion und Politik! Und ihre „Thesen“! Außerdem aber gibt es noch einen gewissen Hegel. Er ist weder Politiker noch Theologe noch Philosoph. Warum ist er auch das Letztere nicht, obwohl man gerade das doch meint? Er hat keine „Thesen“ über Gott und die Welt, oder über Nichtgott und die Welt. Sondern er hat Thesen über „Thesen“, das heißt: seine Thesen haben „Thesen“ zum Gegenstand.
        Es ist nicht wie bei Kant: Wie kommt der Mensch überhaupt zu „Thesen“? Mit der Antwort: er tut es über die Anschauungsformen Raum und Zeit, über die Kategorien, z.B. über die der Kausalität, usw. Mit der schließlichen Folgerung, das und das kann der Mensch nicht wissen, das und das aber doch, d.h. die und die „Thesen“ sind richtig. So also nicht! O nein! Hegel nimmt die „Thesen“, die die Menschen im Lauf der Geistesgeschichte tatsächlich aufgestellt haben, und macht sie zum Gegenstand seiner These oder Thesen; mit allem, was sie gefressen haben, d.h. mitsamt ihrem totalen Inhalt.
        Diesem Inhalt fügt er sodann noch etwas hinzu, und zwar jeder dritten „These“ das Gleiche, mag sie auch sonst von allen anderen dritten „Thesen“ so verschieden sein, wie sie will. Der Inhalt, den Hegel hinzufügt, hat dem entsprechend nichts mit Gott und der Welt zu tun, dem Gegenstand der „Thesen“ – wir werden es noch sehen – sondern nur mit den „Thesen“ als solchen Es verläuft so: Die „These“ findet eine „Antithese“, beide finden ihre Synthese; die „Synthese“ spielt nun wieder die Rolle der „These“, die wieder ihre „Antithese“ findet, bis beide sich ebenfalls wieder zu einer „Synthese“ vereinigen. Und so weiter! Es ist insofern wie mit russischen Puppen. Etwa ins Unendliche? Weit gefehlt! Gerade zu Hegels Zeit schluckt die letzte „Synthese“ die vorhergehende, die ihrerseits die ihr vorhergehende in sich aufgenommen hat, die wieder die vorhergehende intus hat, usw., bis zur ersten „These“, die ihre „Antithese“ bekam, mit ihr zusammen zur „Synthese“ wurde; und so fort, nun wieder in entgegengesetzter Richtung gedacht. Die letzte „Synthese“, die Schluss-„Synthese“, meine Freunde, die zu Hegels Zeit stattfand, heißt das „Absolutum“. Und dieses „Absolutum“ ist Hegels Gottesbegriff.
        Wir haben jetzt also zwei Gottesbegriffe: erstens den Gott oder die Götter, kurz das Göttliche, das ja wohl der bejahte oder verneinte Gegenstand der ganz gewöhnlichen philosophischen, theologischen und politischen „Thesen“ war, von denen wir anfangs sprachen; und wir haben als zweiten Gottesbegriff jetzt das „Absolutum“, das unmittelbar oder mittelbar alle anderen „Synthesen“, „Antithesen“ und „Thesen“ in sich schließt.
        Wir haben auch zwei Universen: erstens dasjenige, das wir gerade als das „Absolutum“ kennen gelernt haben – Hegel ist Pantheist: das Universum ist das Göttliche und umgekehrt – und wir haben zweitens das Universum der ganz gewöhnlichen Nicht-Hegelianer, das so, wie wir es anfangs explizierten, in aller Bescheidenheit immer noch der Gegenstand all der „Thesen“, „Antithesen“ und „Synthesen“ ist und ohne das diese ganze göttliche Herrlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes „gegenstandslos“ wäre. Hegel nennt dieses Universum, also den Gegenstand der „Thesen“ usw., das in Wahrheit das einzige ist, die „Natur“, zu der ja auch der einzelne Mensch gehört. Und er erklärt sodann diese „Natur“ einschließlich des Einzelmenschen – an das Göttliche als ganz gewöhnlichen Gegenstand der „Thesen“ denkt er schon gar nicht mehr – zum philosophisch unbeachtlichen, philosophisch gleichgültigen, unbeabsichtigten Abfallprodukt seines Denkens – als ob es für einen Philosophen solche Abfallprodukte geben könnte! Aber wir sagten anfangs ja auch: Hegel ist kein Philosoph.
        Was ist er denn? Ein Scharlatan, der in seinem Bildungssammelsurium hin und wieder Gelegenheit findet, etwas Feinsinn zu zeigen. Denn ganz ohne Reizmittel fängt man auch die Unerfahrenen nicht. – Wundert sich nach all dem noch jemand über die Seltsamkeit von Hegels Sprache? Es ist Bildung im allerschlechtesten Sinne, in einer hochgestochenen und unordentlichen Diktion. Mit Spießermentalität im Übrigen, diese Mentalität hat die Elemente: „wahr“, „auch wieder wahr“, und „Beide haben Recht“ = „These, Antithese, Synthese“.
        Außerdem: wir haben jetzt einen völlig neuen Begriff der Wahrheit, Freunde: Wahr ist, was widersprüchlich ist, wie es die „Synthese“ ja ist, die „These“ und „Antithese“ in sich schließt und in der beide „aufgehoben“ sind. Und das Letztere nun auch wieder ganz ausdrücklich sowohl in dem Sinne, in dem man ein Gesetz „aufhebt“, als auch so, wie man ein wichtiges Schriftstück – auch hier in Wahrheit wieder in einem anderen, entgegengesetzten Sinne – „aufhebt“. Natürlich wird der Widerspruch zur Wahrheit, wenn unverdautes Wissen von allen möglichen sich widersprechenden Thesen mit Hegelschem Bienenfleiß nach einem spießigen und oberflächlichen Schema zu einem einzigen, im Übrigen göttlichen, Sammelsurium verbacken wird.
        Herr Horst Mahler wollte diesen Begriff der Wahrheit, ausdrücklich mit ihrer Widersprüchlichkeit, in einem öffentlichen Manifest ans Volk, zum politischen Kriterium machen. Hegel ist groß, meine Brüder, er nimmt selbst einem erfahrenen Anwalt den Verstand; und zwar dieses Mal sogar in einem doppelten Sinne: im PR-Sinn (nämlich im Sinne der Public-Relations) und im Sinne der unveränderlichen Denkgesetze.


Hans Rochol, im Oktober 2006.



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